Ich würde sagen, ungefähr 15 Minuten. Wir haben auch von Zeit zu Zeit experimentelle Sachen gemacht, wie Leuchtfarbe an Kendo-Stäben, die wir dann im Dunkeln durch die Gegend geschwungen haben. Ich weiß, dass es Videoaufnahmen von ‚Wolles Video Disco‘ aus Dresden von bestimmten Auftritten gibt, aber leider behält er sich die Rechte vor und rückt die Dinger nicht raus.
Kurze Zeit später hatten wir den großen Auftritt auf der Freilichtbühne in Wolgast vor 3000 Zuschauern.
Das Event wurde damals von den Classic Breakers / Zulu Boys / Jens Ihlenfeld (Spaiche, Anm. d. Red.) in Eigenregie organisiert. Ich hatte dir vor der Aufzeichnung schon erzählt, dass Spaiche behauptet, es gibt keine Fotos von diesem Event, allerdings habe ich ein paar Aufnahmen vom Auftritt. Unsere Crew war zu diesem Zeitpunkt noch relativ unbekannt. Zu „Scheune“-Zeiten hatten wir ein bisschen Bekanntheit erlangt und waren hier und da aufgefallen – klar, wenn man mit einem Mädchen in der Crew anrückt, das den Jungs in nichts nachsteht und auch Moves wie die ‚Windmill‘, den ‚One Shot Headspin‘ oder den ‚Hand Glide‘ draufhatte. Wir kamen also in Wolgast an, alles war super organisiert, man wurde mit Bussen zum Gelände gefahren – an dieser Stelle nochmal Respekt an die Classic Breakers, die sich an diesem Tag von ‚Classic Breakers‘ in ‚Zulu Boys‘ umbenannt hatten. Die Veranstalter hatten vielleicht mit ein paar hundert Leuten gerechnet. Dass an dem Tag die ganze Insel erschien und die Freilichtbühne von 3000 Menschen belagert wurde, hat niemand geahnt. Jetzt muss man dazu sagen, dass es an dem Tag geregnet hat – und irgendwer hatte vorher alles mit Silikonspray präpariert. Selbst die Tänzer in der DDR hatten relativ früh gemerkt, dass man sich mit Hilfe von Silikonspray auf allem drehen kann. Wenn du etwas damit einsprühst, ist der Untergrund wie vereist. Wir konnten also auf der Bühne kaum laufen, weil es spiegelglatt war. Und jetzt spielte sich folgende Szene ab: Es war entweder eine FDJ- oder eine DDR-Fahne, die zum Wischen der Bühne benutzt wurde, um den Boden sauber zu machen, damit man sich aufgrund der Wetterbedingungen wenigstens halbwegs sicher bewegen konnte. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen:
Wir betreiben amerikanische Kultur – und benutzen FDJ- und DDR-Flaggen, um den Boden der Veranstaltung damit zu trocknen. Gigantisch (lacht). Wie bereits erwähnt, kannten uns die meisten an der Küste noch nicht, ebensowenig Ronny, den Kleinen in unserer Crew. Er war zu dem Zeitpunkt etwa 10 Jahre alt und machte eine fantastische ‚Turtle‘, eine ‚Windmill‘ im Spagat – also 180° die Beine auseinander – und einen 10er ‚One Shot Headspin‘... als 10-Jähriger! Wir kamen also auf die Bühne und hatten Ronny in einer DDR-Reisetasche dabei. Oben angekommen haben wir die Tasche aufgemacht, er sprang raus und fing seine Kombination direkt mit einer ‚Windmill‘ an. Du kannst dir vorstellen, was die 3000 Leute in dem Augenblick gemacht haben. Das ist für mich ein Moment gewesen, den ich in meinem Leben nie vergessen werde. Die sind alle aufgesprungen und haben gejubelt. Ab dem Zeitpunkt waren wir dann auch bekannt. Erstens, ein B-Girl in der Crew, dann die ganze Crew macht eine ‚Windmill‘ und schließlich der Kleine in der Crew, der die verrücktesten Moves zieht. Das war zu diesem Zeitpunkt einfach irre.
Dann kam meine nächste Erleuchtung. Ich hatte ja Tommy schon vorher auf dem Bahnsteig gesehen, er kam mit Beatschmidt und anderen Leuten angereist. Tommys Auftritt war etwas ganz Besonderes. Er hatte die Eigenschaft, eher schüchtern und unscheinbar die Bühne zu betreten. Er legte seine Mütze auf den Boden, platzierte sein Headspin-Teil, stellte sich auf den Kopf – und fing an, ‚Continuous Headspins‘ zu machen. Minutenlang. Mir ist alles aus dem Gesicht gefallen. Das werde ich nie vergessen, wie er in einer bis dahin nie dagewesenen Art und Weise ganz alleine vor 3000 Leuten ‚Headspins‘ machte. Wie ich vorhin schon mal angemerkt habe, war er seiner Zeit hier mal wieder weit voraus. Er war der erste, der die ‚Windmill‘ konnte, und dann kam er mit dem ‚Continuous Headspin‘, ausgeführt in einer Qualität, die man so nicht kannte. An diesem Tag war er wieder der Breakdance-Gott, und niemand in der DDR wird das verleugnen können. Tommy war seiner Zeit immer voraus – immer.
Zurück in Görlitz angekommen, gab’s nur ein Thema – ‚Headspin‘. Natürlich haben wir alle angefangen, den ‚Headspin‘ zu trainieren. Aufgrund der fehlenden Informationsquellen hatten wir auch die wüstesten Theorien darüber, wie sich der Move ausführen lässt.