Hip hop symposium 2024 - mannheim

Am 8. und 9. November 2024 lud die Mannheimer Popakademie Baden-Württemberg – die staatliche Hochschule für Populäre Musik und Musikwirtschaft, die seit ihrer Gründung 2003 innovative Wege in der Musikausbildung geht – zum zweiten Mal zum Hip Hop-Symposium ein.

> 2024

Erstmals im Jahr 2018 ins Leben gerufen, verfolgt das von Torch, einer Legende der deutschen Hip-Hop-Szene, und dem Historiker sowie Journalisten Andreas Margara initiierte Symposium das Ziel, die facettenreiche
Welt der Hip Hop-Kultur eingehend zu beleuchten. In zahlreichen Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops werden die unterschiedlichen Aspekte des Phänomens Hip Hop untersucht – von seinen musikalischen Ursprüngen bis hin zu seiner weitreichenden Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft.

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Ein wichtiger Grundpfeiler der Hip-Hop-Kultur ist für mich das kreative Zusammenkommen verschiedenster Menschen und nicht deren Spaltung.

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Das Event begann um 17:30 Uhr mit einer kurzen Eröffnungsansprache von Derek von Krogh, Künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie. Im Anschluss begeisterte die Formation "Siryous" das Publikum mit einer eindrucksvollen Rap-Performance mit Schlagzeugbegleitung.

Im Anschluss folgte ein Vortrag der Soziologin Dr. (phil.) Heidi Süß zum Bereich Männlichkeitsbilder im Deutschrap. Eine wichtiges und relevantes Thema. 

Dass die Rede etwas holprig und unsicher wirkte, ist ja in Ordnung. Aber was die „lustigen“ Angriffe auf Torch, den Initiator des Symposiums, sollten, wurde nicht ganz klar und wirkte in diesem Rahmen eher unprofessionell. Ist es nicht sogar bedenklich und anmaßend, dass eine weiße Deutsche einen Vorreiter der Antirassismus-Bewegung persönlich attackiert, der mit seiner Gruppe Advanced Chemistry in den frühen Neunzigern die deutsche Gesellschaft erstmals für das Thema sensibilisiert hat? So wurde beim Vortrag unter anderem ein Foto der Band von 1993, auf dem mehrere nichtweiße männliche sowie weibliche Personen zu sehen sind, als Beispiel für homosoziale Männergemeinschaften neben Hooligans und Burschenschaften verwendet. Ich frage mich, ob eine derartige Herangehensweise einen konstruktiven Dialog über Männlichkeit nicht eher erschwert. Ein wichtiger Grundpfeiler der Hip-Hop-Kultur ist für mich das kreative Zusammenkommen verschiedenster Menschen und nicht deren Spaltung.

Der Höhepunkt des Abends war das „Hochkultur“-Panel, das live im SWR Radio übertragen wurde. Zu den Gästen zählten Sandy (Moderator SWR/Das Ding), Samy Deluxe (Kurator des Panels), Torch, Marvin Game, Megaloh sowie der Finanzminister von Baden-Württemberg, Dr. Danyal Bayaz, der die fast zweistündige Gesprächsrunde mit einer kurzen Ansprache eröffnete.

Den krönenden Abschluss bildete ein Überraschungsauftritt der Stieber Twins, die ihren legendären Song „Malaria“ zusammen mit Samy Deluxe performten, der in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum feiert.
 
Nachfolgend die relevantesten Auszüge der Gesprächsrunde
zum Nachlesen.

"Es basiert wirklich auf dem Willen, etwas zu machen, nicht einfach nur darüber zu reden, sondern es einfach durchzuziehen."

> TORCH

Heute gehen wir von Dingen aus, die einfach da sind. Hip-Hop ist ein riesiges Business. Es gibt Hip-Hop in der Werbung – es ist super Mainstream. Aber als ich angefangen habe – zumindest in Deutschland – haben wir die Strukturen alle selbst aufgebaut. Als wir losgelegt haben, gab es gar nichts. Kein Publikum. Nur die Leute auf der Bühne, aber niemand, der das sehen wollte. Auch kein Internet. Wie organisierst du Jams? Das heißt, wir sind selbst zu Organisatoren von Jams geworden, wir sind zu Labels geworden, wir haben eigene Labels gegründet – in meinem Fall 360Rec.de. Wir haben heute Rick Ski von der LSD Crew hier, die damals das Blitz Vinyl Label hatten. Das sind alles Labels, die aus eigener Kraft, aus eigenem Geld kreiert wurden, ohne zu wissen, ob es überhaupt irgendeinen Sinn ergibt.
Darauf basiert das alles. Es basiert wirklich auf dem Willen, etwas zu machen, nicht einfach nur darüber zu reden, sondern es einfach durchzuziehen. Und das ist der Punkt, der mich zum Beispiel ein bisschen nervt: So viele Leute reden den ganzen Tag, aber ziehen ihr Ding nicht durch. Gerade Hip-Hop ist ein super Beispiel für eine Kultur, die von der gesamten Gesellschaft belächelt wurde. Die Player wurden belächelt. Leute, die nicht genau wussten, wo sie in der Gesellschaft hingehören. Wo man ihnen gesagt hat: ‚Du gehörst an den Rand der Gesellschaft, du hast hier nichts zu sagen, du gehörst nicht ins Fernsehen, du gehörst nirgendwo hin. Euer Rap ist kein Gesang, findet nicht statt, euer Tanz auf dem Boden findet nicht statt, eure Kunst findet nicht statt.‘ Alles, was Hip-Hop ist, war hundert Prozent falsch. Ich habe 1982 angefangen, aber alles, was wir gemacht haben, war komplett falsch für diese Gesellschaft. Aber wir haben daran geglaubt und es durchgeboxt, haben durchgezogen, und jetzt ist es die größte Kultur, die es überhaupt gibt. Die meistgehörte Musik. Es ist zeitgenössische Kunst, egal aus welchem Blickwinkel du es betrachtest. Wie haben wir das geschafft? Weil wir an uns selbst geglaubt haben. Keine Plattenfirma hat das gemacht, nicht die Universität, niemand hat uns da hingebracht – sondern wir uns selbst.
Um solche Dinge zu kuratieren, haben wir sogar ein Institut gegründet – das Freie Hip Hop-Institut Heidelberg. Das ist eine GmbH. Wir haben es extra gegründet, um solche Dinge zu kuratieren, damit Missverständnisse wie dieses nicht passieren – als Zwischenstelle zwischen solchen Institutionen.

Somit sind wir auch gleich im Thema: Das Event heißt ‚Hip Hop-Symposium‘, aber das ist das erste Missverständnis. Die meisten Leute in Deutschland, wenn sie über Hip Hop reden, meinen Rap. Mittlerweile wird gerne von Hip Hop-Kultur gesprochen, aber eigentlich meint man die Rap-Industrie. Das ist das erste große Problem. Ich persönlich sehe mich als Hip Hop-Künstler, weil ich eben nicht nur Rapper bin. Ich bin auch – oder war – Teil des Rap-Games, habe es sogar mit aufgebaut, aber ich bin nicht nur Rapper.

Es gibt verschiedene Elemente, wie wir alle wissen. Ich war Writer, B-Boy, organisiere Jams und so weiter.
All das gehört zur Kultur und kommt natürlich oft in den Hintergrund, weil es immer nur um die Musik geht – oder eher um die Vermarktung von Musik. Und das ist ein riesiges Missverständnis, denn der wichtigste Teil dieser Kultur sind nicht die Schallplattenveröffentlichungen. Das ist ein riesiges Missverständnis. Was hinter den Kulissen passiert – die Freestyle-Sessions, die Züge, die gemalt werden, wie man es live rüberbringt oder wie man es erlebt – all diese Sachen sind eigentlich die Kraft.

"Warum feiern wir nicht ab Sugarhill Gang? Ab der ersten Schallplattenveröffentlichung? Weil wir nicht die Rap-Industrie feiern – wir feiern die Kultur."

Man darf eins nicht vergessen: Als Hip Hop in den 70ern in der Bronx entstanden ist, konnten die Leute, die das machten, sich nicht vorstellen, dass man das auf Platte presst. Als Sylvia Robinson mit Sugarhill Gang das dann auf Platte presste, war das die Erneuerung. Alle haben sie ausgelacht. Wie willst du das machen? Wie willst du eine achtstündige Party – mit Breaking und Live-Freestyle-Sessions – auf eine Platte pressen? Das geht doch nicht. Und dann, als „Rapper’s Delight“ rauskam, ging es durch die Decke, und alle wollten Platten rausbringen.

Ganz wichtig: Wir feiern ‚50 Jahre Hip Hop‘. Warum feiern wir 50 Jahre Hip Hop? Wir feiern die Party von
Kool Herc. Was hat Kool Herc gemacht? Kool Herc hat nicht gerappt. Kool Herc hat Breakbeats gemixt, und B-Boys haben dazu getanzt. Das ist die Basis von Hip Hop. Warum feiern wir nicht ab Sugarhill Gang?
Ab der ersten Schallplattenveröffentlichung? Weil wir nicht die Rap-Industrie feiern – wir feiern die Kultur. Aber wir aus der Kultur sollten das dann auch erweitern. Mannheim zum Beispiel hat eine richtig starke
B-Boy- und B-Girl-Szene, und die lesen jetzt auch ‚Hip-Hop-Symposium‘, sind aber nicht Teil davon – und das ist falsch. Entweder bringt man alle Leute mit dazu, die ein Teil davon sind, und nicht nur die Uni, die
nie etwas damit zu tun hatte, nicht nur Journalisten oder Politiker, sondern die gesamte Szene mit all ihrer Kraft – oder wir nennen es einfach ‚Rap-Game‘.

Beim ersten Symposium hatten alle Elemente ihren Platz – thematisch. Wir haben Leute eingeladen, die genau darüber gesprochen haben. Ich habe darauf verzichtet, hier zu breaken oder so, aber wir haben zum Beispiel Leute eingeladen, die aus der ersten Generation aus Mannheim kamen, die komplett unsichtbar sind, selbst für die Mannheimer. Die Mannheimer selbst kannten diese Leute nicht, und das war mir zum Beispiel sehr wichtig – diese Leute zu zeigen. Oder Eva Ries, die wir eingeladen haben, die damals noch nicht ihr Buch hatte und die hoffentlich heute hier ist. Eva Ries, Managerin, haben wir eingeladen, weil sie hier aus der Gegend kam. Leute, die nicht so viel Sichtbarkeit hatten, die aber für diese Region meiner Meinung nach sehr wichtig waren.

Wir haben zum Beispiel Filme gezeigt, historische Filme, die von Leuten gedreht wurden, die aus der Gegend kommen, die sehr wichtige Zeugnisse von den ersten Graffiti-Zügen in New York haben und solche Sachen. Die haben wir auch eingeladen. Michael Pakleppa haben wir aus England eingeflogen. Er ist ein Filmemacher, ursprünglich aus Heidelberg, wohnt in London. Er hat den Film ‚Breakout‘ gemacht – das war der erste
Hip Hop-Film, den ich je gesehen habe. Das war 1982. Eine Doku über Hip Hop.
 

> SAMY DELUXE

Ich würde sagen, ihr habt das Fundament gelegt, und das ist auch ein gutes deutsches Fundament – es ist unterkellert. Meine Generation war dann die, die zum ersten Mal an der Oberfläche Sichtbarkeit bekommen hat. Ich bin im Jahr 2000 mit meinem ersten Album rausgekommen, aber ich war schon auf dem 1998er Bambule-Album von den Beginnern – was ein riesiges Ding war – und auf dem 1999er Esperanto-Album von Freundeskreis jeweils gefeatured. Ich habe irgendwie die beiden Movements auch miterlebt. Ab 1998 war Rap dann wirklich ein riesiges Chart-Thema.

> Torch

Du bist die erste Generation, die richtig Geld verdienen konnte.

> SAMY DELUXE

"Dann kam die‚Aggro‘-Ära, in der ich immer noch gute Verkäufe hatte, aber ich habe einfach gesehen, dass es da ein ganz neues Movement mit ganz neuen Werten gibt."

Genau. Und dann hatte ich zwei, drei Jahre einen glorreichen Run, in denen ich unumstritten der beste Rapper und auch kommerziell am erfolgreichsten war. Dann kam die ‚Aggro‘-Ära, in der ich immer noch gute Verkäufe hatte, aber ich habe einfach gesehen, dass es da ein ganz neues Movement mit ganz neuen Werten gibt. Gerade Berlin, die in den 90er Jahren auf den Hip Hop-Jams nie eine Rolle gespielt haben. Außer, dass sie vielleicht als Gang gekommen sind und alles ausgeraubt haben.

Ich kann dir aus fast jeder Stadt in Deutschland Gruppen nennen, mit denen wir auf diesen Jams gespielt haben – von München, Stuttgart, Bremen, Hamburg und sogar kleineren Städten wie Hannover – aber irgendwie gab es in den 90ern einfach keine Berliner. Ende der 90er Jahre kamen dann die Spezializtz dazu und mit ihnen diese ganzen englischsprachigen Leute. Aber ab dieser ‚Aggro‘-Ära war das Floodgate einfach offen. Ich war irgendwann mal in einem Hip Hop-Store in München (Mighty Weeny) und habe gehört, wie ein Kind reinkam und fragte: ‚Habt ihr irgendwas Neues aus Berlin?‘ Es war eine Zeit lang egal, was lief – Hauptsache Berlin-Rap, denn alles, was aus Berlin kam, war hart. Wenig später gab es auch irgendwann die, was man heute die ‚Cloud-Chasing-Ära‘ nennt – Rapper, die nur durch viel Beef und Disserei herauskamen und eigentlich nur andere Leute schlechtredeten.

Irgendwann kam aus diesem Moloch, für mich das erste Mal sichtbar, wieder ein krasser Rapper – und das war Megaloh, der einfach vom Wortspiel, von der Stimme, vom Auftreten als Rapper, aber auch wie er in der Szene connected hat, einfach das, was mir auch immer wichtig war: der Generation davor den Respekt zu zollen, wenn man die Leute sieht. Das hatte ich von Anfang an.

Und dann kam irgendwann Megaloh mit der Frage: ‚Warum bist du nicht angesteckt worden von diesem Berlin-Virus? Warum bist du über diesen Hip Hop-Szene-Weg gegangen? Ich will als echter MC von den echten MCs anerkannt werden, anstatt durch irgendwelche Cloud-Chase-Manöver und Diss-Tracks.‘ Es war bestimmt so leicht, und ich kann mir vorstellen, dass bestimmt irgendwelche Homies gesagt haben: ‚Sagt doch einfach, der ist Scheiße.‘ Woher kommen diese Werte als Rapper? Was hat dich glauben lassen, dass das der richtige Weg ist?

> megaloh

"Ich habe es halt so gelernt, dass man
über Skills
überzeugen will."

Ich wurde überwiegend nicht durch den Berliner Rap sozialisiert, sondern durch amerikanischen Rap und dann eben durch eure Generation. Also, ich sage es immer wieder: Ich höre eigentlich keinen Deutschrap, aber ganz am Anfang, bevor ich angefangen habe, auf Deutsch zu rappen, gab es ein paar Protagonisten
aus dieser Zeit, die ich gehört habe. Du warst natürlich einer der wichtigsten, aber einfach von der Technik her und so – das war immer mein Anspruch. Der Fokus lag woanders. Aber natürlich hast du recht.

In meinem Freundeskreis, nachdem wir die ersten Veröffentlichungen hatten, zu einer ähnlichen Zeit, in der Aggro Berlin groß wurde, gab es natürlich immer die Leute, die dann meinten: ‚Gib doch mal Bushido einen mit, dann kriegst du direkt Fame.‘ Das war ein Vorschlag, der mir oft gemacht wurde. Aber das ist nicht der Weg. Ich habe es halt so gelernt, dass man über Skills überzeugen will. Für mich war zum Beispiel Wu-Tang sehr wichtig, einfach dieser Kollektiv-Gedanke, dass jeder Rapper am Mikrofon einfach versucht, den besten Part zu machen. Das ist quasi die Schule, wie ich sozialisiert wurde. Damals war es auch so: Wenn man sich
in der Session trifft, um einen Sound zu machen, dann muss man den Part auch da zu Ende schreiben und ihn dann auch One Take einrappen. Also nicht unbedingt der erste Take, aber zumindest ohne Gepansche. Heutzutage ist es ja anders, was auch völlig okay ist. Damit habe ich kein Problem. Aber das ist eben meine Sozialisierung.

> marvin game

"Ein normaler Job
hätte zu viel Zeit weggenommen.
Ich habe gar nicht gecheckt, was Erfolg bedeutet oder wann man mit Rap Geld verdient oder so."

Ich habe irgendwie alles mal gemacht, aber nie länger als einen Monat oder vielleicht mal zwei – ich bin immer krank geworden. Ich habe mich an der Uni für ein Semesterticket eingetragen, aber relativ schnell war klar, dass ich eigentlich nur Musik machen will und alles da reinsetzen möchte. Ein normaler Job hätte zu viel Zeit weggenommen. Ich habe gar nicht gecheckt, was Erfolg bedeutet oder wann man mit Rap Geld verdient oder so. Für mich war Megaloh ein Star, als Morten mir 2004, glaube ich, sein erstes Mixtape gegeben hat. Und dann hat er mal über Moabit gerappt, und ich konnte es gar nicht zuordnen, wer das ist, zwischen all den anderen Rappern. Das habe ich auch schon ein paar Mal erzählt: Ich habe immer auf dem Schulhof einen Text von ihm gerappt, in dem er irgendwas mit Moabit gesungen hat, und gesagt, das wäre meiner.
Ich komme halt aus Moabit, also ist der Text natürlich von mir – kann ich ja beweisen, weil ich Moabit in dem Text sage (lacht). Jahre später durfte ich ihn kennenlernen und interviewen, und jetzt mache ich auch Songs mit ihm. Das war mir eine riesige Ehre.

Selbst wenn das 2004 war oder ein paar Jahre vorher – wir haben da auch schon den Shit gehört. Mein Bruder Morten ist ja auch ein paar Jahre älter als ich und war von Anfang an dabei. Durch ihn habe ich dann sehr viel von allem mitbekommen und auch viel nachholen dürfen. Ich würde aber nicht behaupten, dass ich komplett alles kenne oder jedes Album kenne. Ich habe ein bisschen die Schule nachgeholt und glaube zu wissen, wo der Respekt angebracht ist und dass man den dann auch entsprechend geben kann. Ich habe das halt alles irgendwann teilweise nachgeholt – teilweise, was man halt nachholen kann.

> torch

Aber auch das ist Teil der Kultur, finde ich. Dieses Diggen. Dass man nicht nur nach Samples diggt, sondern auch nach Geschichte. Dass man die eigene Geschichte diggt. Das ist ein riesiger Teil davon, dass man versucht, rückwärts zu verstehen: Wo kommt das her? Sonst würden wir ja nicht 50 Jahre Hip Hop feiern und uns an jemanden wie Kool Herc erinnern, der nie eine Platte gemacht hat. Aber wir reden die ganze Zeit über Rap-Schallplatten. Er hat weder gerappt, noch hat er eine Schallplatte gemacht, aber weil es Teil dieser Kultur ist, diggen wir bis zum Anfang zurück und sind stolz darauf.

> marvin game

Ich habe gar nicht viel gefunden, was mir richtig gut gefallen hat. Ich konnte vielen Alben, die eure Klassiker sind, überhaupt nichts abgewinnen. Ich kann vielleicht verstehen, warum das gut war – Wu-Tang ist zum Beispiel vorhin gefallen – aber ich kann damit gar nichts anfangen. Damals war das halt einfach alles anders. Es war nicht so schlimm, wenn die Backups in den Songs nicht saßen. Oder wenn jemand 64 Bars hintereinander rappt und der Song keine schöne Struktur hat oder so. Aber das hat den Grundstein gelegt. 2007 habe ich mein erstes Mixtape zu „Myspace“-Zeiten gemacht, und etwa ein Jahr später habe ich dann Autotune entdeckt. Also, wir hatten damals noch nicht Autotune, sondern GSnap, ein ähnliches Plug-in, das die Stimme auch so wobbeln ließ. Wir haben damit erst mal ein bisschen gearbeitet, aber es war noch nicht so, dass wir gesagt haben, „Das ist jetzt unser Sound“. Das hat sich dann erst dadurch entwickelt, dass Morten angefangen hat, selbst zu produzieren, dass Greeny auch bei uns dazugekommen ist und er und Morten viel zusammengearbeitet haben. Mr. Max hat uns immer diesen ganzen Südstaaten-Shit gebracht – UGK, Three 6 Mafia und so. Als wir das gehört haben, war das wie eine Erleuchtung, und wir dachten: „Okay, Hip Hop geht noch auf ein neues Level.“ Theoretisch nur, weil man das Tempo verändert, die 808 oder die Kick mehr knallt als davor.

"Und warum mache ich es trotzdem? Weisst du warum? Weil ich Bock drauf habe und weil es
kulturell wertvoller
Shit ist."

Zum Thema „Man wurde anfangs nicht ernst genommen oder man wurde belächelt“: Wir kamen mit diesem Autotune-Rap rein und wurden von der Hip Hop-Kultur dann belächelt – und ich kann das durchaus nachvollziehen. Ich sehe es ja heute vielleicht auch so, wenn ich die nächste Generation sehe. Wenn ich etwas nicht im ersten Moment nachvollziehen kann und mir dann auch denke: „Es ist okay, hat aber nichts mit meinem Hip Hop zu tun.“ Und im Grunde glaube ich, dass Hip Hop auch dafür da ist, eine Weiterentwicklung zu erleben. Dass innerhalb der Kultur Subkulturen entstehen und Sub-Sound-Bereiche. Es gab am Anfang keine Bühne für uns. Wir mussten alles selbst machen. Wir haben Partys in Berlin einfach selbst veranstaltet. Am Anfang waren da nur unsere Freunde und Leute, die wir auf die Gästeliste geschrieben haben. Aber irgendwie ist der Name dann durch Berlin gewandert, und irgendwann hatten wir Partys mit fünfhundert, sechshundert, siebenhundert Leuten, bevor mich eigentlich irgendjemand kannte.
„Immer Ready“ haben wir dann 2015/2016 gemacht. Wir wurden fürs Splash! gebucht und hatten noch keinen Namen. Wir waren eine Crew, aber nicht die alte Crew. Da gab es ein Video von Mr. Max, wie er um vier Uhr morgens am Mikrofon stand und immer nur so sagte: „Immer ready, immer ready“. Und auf einmal guckt er rüber in die Kamera und grinst hässlich. Das ist doch einfach unser Name jetzt, denn wir sind immer ready, immer ready Soldier. Ab da ging’s dann ja auch los.

Ab da war es dann nicht mehr nur so, dass meine Freunde auf den Partys waren, sondern da kam auch der Erfolg. Viele Leute haben plötzlich die Musik gehört. Zeitgleich ist mein Format „Hotbox“ auf YouTube losgegangen, was sehr viel Reichweite auf mich gezogen hat und mich mit Künstlern aus der ganzen Welt connected hat. Das ging wirklich Hand in Hand: Die zweite Folge von „Hotbox“, die ich gedroppt habe, ging durch die Decke. Und genau zu der Zeit habe ich meine erste große EP angekündigt, die dann von allen möglichen Plattformen aufgegriffen wurde, weil eben „Hotbox“ zu dem Zeitpunkt gut funktioniert hat. Ich habe, glaube ich, die Wave zweigleisig ganz gut geritten: als Musiker, aber auch gleichzeitig irgendwie als Entertainer oder Moderator, oder wie man das nennen möchte. Wär schön, wenn alle meine Sachen Geld bringen würden. Aber das meiste, was ich da mache, ist alles kulturell bedingt. Das habe ich aber auch erst gecheckt, als man in der Pandemie so viel Zeit zum Nachdenken hatte und ich mich gefragt habe: „Wofür mache ich das eigentlich?“ Diesen Teil mache ich auf jeden Fall nicht für Geld. Geld habe ich mir immer mit ganz anderen Sachen verdient. Die Musik hat sich meistens eher selbst getragen. Man hat viel reingesteckt. Ich habe unglaublich viel Geld für Musikvideos und so ausgegeben, dass das gar nicht der Sinn dahinter war. „Hotbox“ hat nie Geld gebracht. Das ist ein YouTube-Format, in dem wir Joints rauchen – das kann man nicht monetarisieren. Also selbst wenn da ein Sponsor drin ist, wie bei manchen Folgen, dann ist damit gerade mal so die Produktion finanziert.

Also Hip Hop ist seit Anfang an ein dickes Minusgeschäft. Und warum mache ich es trotzdem? Weißt du warum? Weil ich Bock drauf habe und weil es kulturell wertvoller Shit ist. Weil wir es irgendwie geschafft haben, ein Format hochzuziehen, in dem teilweise Künstler ihre ersten Interviews hatten – oder auch ihre letzten oder einzigen. Das ist so wertvoll für mich, das kann man mir nicht bezahlen. Zudem ist es mir auch egal, ob nächsten Sonntag eine „Hotbox“-Folge rauskommt, die sich keiner anguckt, und drei Wochen später kommt eine Folge, die alle sehen. Es ist völlig egal. Ich mache das eigentlich nur, weil ich rappen und kiffen will. Mir dabei zuzuschauen ist der nette Nebeneffekt, aber eigentlich ist es ja auch eine Plattform.
Ich feier es sehr, anderen eine Plattform zu schaffen, weil uns nur wenige Leute eine geboten haben.

„Man muss sie sich selbst schaffen, man muss sie sich selbst nehmen. Hip Hop ist keine ‚Empowerment-Kultur‘, sondern eine ‚Selbst-Empowerment-Kultur‘.
Das ist das, was viele nicht begriffen haben.
Du denkst dir selbst dein Ziel aus und gehst einfach,
ob es möglich ist oder nicht – du machst es einfach.“

> torch

> marvin game

Nur dadurch, dass du es machst, kommen überhaupt Leute, die dir eine Plattform geben, weil sie sehen, dass du selbst aktiv bist. Lakmann war zum Beispiel einer der ersten, die mir eine Plattform gegeben haben. Er hat uns damals über Kareem, einem seiner Jungs, der viel bei uns abhängt, gesehen. Lakmann konnte gar nicht verstehen, was wir mit Autotune gesungen haben, aber er meinte: ‚Irgendwie ist es geil, das ist auch Hip Hop – wollt ihr mit auf Tour kommen?‘ Und auf einmal bin ich mit denen auf Tour, wir machen unsere Trap-Songs und rappen Double-Time, aber die Crowd guckt uns an wie die Kuh auf dem Dach. Lakmann hat's jedenfalls gefeiert und wir konnten sogar ein paar Leute mitnehmen.

> samy deluxe

Ich bezeichne mich selbst als Rap-Fan. Und Rap kam vom ‚Heb-die-Arme-hoch‘ zu Rakim und Nas – also zu Leuten, die einen richtigen Flow hatten, beziehungsweise das, was wir Flow genannt haben. Und ich war zu dem Zeitpunkt, an dem ich Trap das erste Mal gehört habe, auch noch nicht an dem Punkt, dass ich das so richtig für deutsche Künstler ernst nehmen konnte. Bei den Amis gibt’s das, aber jetzt gibt’s diese deutsche Version davon, und die meinen das bestimmt genauso halb witzig wie ich, wenn ich so Trap-Tracks mache. Ich mag die ganzen Kadenzen, aber es ist trotzdem nicht der echte Samy Deluxe, weißt du, was ich meine? Das fand ich eben so geil, dass du einfach auch für deine Generation so eingetreten bist und gesagt hast, dass das, was ihr macht, genau das Gleiche ist wie für uns damals unser Ding. Also: ‚Ihr habt’s damals eben so gemacht und wir machen eben heute Moshpit.‘

> torch

Zu unserer Zeit gab es auf jeden Fall auch ein Moshpit. Als ich angefangen habe, gab es Anfang der 90er Jahre noch kein Hip Hop-Publikum in Deutschland. Unser erstes Publikum waren Punks. Als wir ‚Fremd im eigenen Land‘ 1992 rausgebracht haben und dann mit dem Blitz Mob getourt sind, waren da extrem viele Punks, die sagten: ‚Das ist zwar die Public Enemy-Zeit, aber wir sind nicht Hip Hop – trotzdem mögen wir die Energie.‘ Darum hatten wir lauter Punks im Publikum. Das war das Ding für lange Zeit. Und dann habt ihr irgendwann angefangen mit ‚Grüner Brille‘ und Kiffen – und dann hat’s aufgehört (lacht).

> samy deluxe

"Ich glaube, ich bin
schon ein Rapper, der
immer eine Diversität
von Patterns hatte."

Das ist einfach die Tempo-Range. Alles, was zwischen Ende der 80er und Mitte der 90er Jahre lag, was die Classics angeht, waren alles Beats zwischen 85 und 88 BPM, nie schneller als 90 BPM. Ich glaube, ich bin schon ein Rapper, der immer eine Diversität von Patterns hatte. Trotzdem bin ich selten ins Half-Timing gegangen. Wenn, dann habe ich richtig schnell gerappt, weil das auch das ist, was live richtig Bock macht.
Ich hatte ja auch diesen Track ‚Von Eimsbush bis 0711‘ auf dem Esperanto-Album vom Max. Das war damals schon so ein Flow, den eigentlich noch keiner gehört hatte. Aber selbst das geht live nicht so richtig ab, wenn du diese langsamen Beats dann komplett vollkleisterst. Ich habe dann lieber überall den Ansatz verfolgt, dass ich in Realtime schnelle Songs – ich rappe über 130 BPM – bringe. Das geht dann live auch richtig ab.

Was Trap ausgemacht hat, sind diese neuen Ansätze: Dass man alles viel musikalischer angeht, dass man weiß, wo die Pocket ist. Heute höre ich auch Beats eher im Sinne von: ‚Wo will der Beat mich da drin haben?‘ Früher war ein Beat einfach die coolstmögliche Unterlage für irgendeinen Flow, der einfach durchgeht, weil ich das Hauptinstrument bin. Das hat sich, finde ich, teilweise auch zum Positiven geändert. Nicht unbedingt zum Positiven, was die Lyrics angeht, weil viele in diesen supergeilen Patterns einfach die schwachsinnigsten Lyrics der Welt schreiben. Natürlich können die aber auch oft Spaß bringen, aber ich finde, es hat vor allem musikalisch super viel aufgemacht.

> megaloh

"Wenn du rappst,
dann musst du halt
einfach rasieren auf dem Beat, also spitten"

Ich komme auch so aus einer ‚Spitter-Ära‘, würde ich sagen. Das entspricht dem, wie ich Rap am Anfang wahrgenommen habe. Vielleicht nicht ganz am Anfang, aber spätestens dann ab Eminem oder Leuten, die sehr viel Wert auf Technik gelegt haben. Da sagte ich mir: Wenn du rappst, dann musst du halt einfach rasieren auf dem Beat, also spitten. Und das ganze andere, wie Tanzen oder sich bewegen, ist für mich eher etwas, das in den letzten Jahren entstanden ist. Früher war das auch so ein Männlichkeits-Ding: Du warst eher an der Wand im Club gelehnt und hast vielleicht cool genickt, aber du hast nicht getanzt oder so.
Wir sind nicht so sozialisiert. Ich finde es sehr gut, dass es mittlerweile anders ist. Ich bin auf jeden Fall in Bewegung. Ich begrüße es, dass sich das alles geändert hat. Ich finde auch, dass auf einem Konzert beides möglich sein sollte.

„Torch rückt keine Beats raus.
Ich wollte mal einen Beat von ihm haben. Er hat mir mal verschiedene Beats vorgespielt, und ich meinte dann so:
‚Geil, kann ich den haben?‘ – Nein.“

> samy deluxe

> samy deluxe

Wie ist das bei Dir Torch - bist du dann bei Trap ausgestiegen oder welche Generation davon hast du noch verfolgt?

> torch

Also, ich bin ja hauptsächlich in den 80ern sozialisiert, und was mich immer fasziniert hat, ist, dass Trap eigentlich auf der 808 basiert. Das ist eine absolute 80er-Ästhetik. Natürlich klingt es anders, ich sage mal, es klingt „fieser“ – vielleicht auch etwas kälter. Also mehr „in your face“. Es klingt digitaler, hoch gemastert – was ich jetzt nicht unbedingt immer besser finde, weil ich eben aus der Zeit komme, in der es warm klingen sollte. Ich habe den Sound der 808 quasi schon im Kopf. Diesen Sound jetzt komplett neu zu erlernen, ist nicht immer einfach. Aber bei sehr vielen Sachen, die mir bei Trap als brandneu verkauft wurden, bin ich in den 80ern schon voll darauf abgefahren. Nicht nur die tiefen Bässe, selbst die Snares, die in Tonlagen gepitcht sind – das hat man alles schon gemacht, und deswegen bin ich jetzt nicht komplett durchgedreht.

"The 80's
was all about dancin' – what happened?"

Wenn ich als DJ Haitian Star auflege, ist mein DJ-Set auch immer eine Herausforderung – der Bildungsauftrag ist immer eine Challenge, die richtige Balance zu finden. Ich gebe meinen Sets meistens Themen, wie zum Beispiel „German 80s Hip Hop“ oder so. Was ich zum Beispiel gerne mache, ist, Parallelen zu suchen. Man spielt irgendwelche Sachen aus den 80ern und dann irgendwas von heute und zeigt den Leuten: „It’s the same shit!“ Auf einmal tanzen sie zu einem Song aus den 80ern und wissen es nicht. Diese Momente sind mein persönlicher Spaß beim Auflegen.

Übrigens, noch etwas zum Thema Tanzen: Ich bin ein bisschen schockiert darüber, was ich hier alles lerne. Ich habe jetzt gelernt, dass ihr alle kifft – ich habe noch nie in meinem Leben gekifft. Das sind so Rapper-Klischees: Wir kiffen, wir tanzen nicht. In den 80er-Jahren haben die Leute wahrscheinlich noch ganz andere Drogen genommen als ihr, aber ich habe nicht gekifft – ich war nur auf der Tanzfläche. Ich habe gebreakt, ich war B-Boy, ich habe den Running Man gemacht, ich habe nur getanzt und war lange Tänzer. The 80's was all about dancin' – what happened? Was ich meine: Der Spaß war von Anfang an da. Das erste große Element war Tanzen. Was mir ebenfalls wichtig war, war zum Beispiel, auf Fotos nicht zu lächeln. Es war uns wichtig, dass wir eben nicht als Witz rüberkommen, weil die Leute damals Hip Hop oft als Witz betrachtet haben – als Ulk, Joke oder Gimmick. Deswegen war es wichtig, den Leuten zu zeigen, dass wir seriös sind. Für uns
war das nicht ein Witz, sondern das war unser Leben, das war unsere Kultur. We’ve got something to say – we ain’t no joke. Und das war – wenn man so will – unsere Männlichkeitsinszenierung.

Ich wollte noch kurz etwas sagen: Vor einigen Tagen ist DJ Billy (DJ Billy Davis, Gründungsmitglied der Söhne Mannheims, Anm. d. Red.) gestorben. Ich wollte ihm dieses Symposium, diese Unterhaltung hier heute, widmen. Zu euch allen wollte ich auch noch etwas sagen – Marvin habe ich erst heute kennengelernt. Aber euch beide (Samy, Megaloh, Anm. d. Red.) habe ich ja von Anfang an verfolgt, und ich bin auf jeden Fall extrem stolz auf euch beide, weil ich euch sehr lange kenne. Und ich sehe ja, wie viele Leute in dieses Game reinpreschen, von allen Seiten, und alle versuchen, schnell einen Platz zu besetzen, ihr Geld zu verdienen, irgendwie eine Deutungshoheit zu erlangen – alles Mögliche. Aber niemand respektiert diese Kultur. Doch ihr seid sehr gute Beispiele für Leute, die wirklich die Arbeit reinstecken und sich wirklich zum besten MC hocharbeiten, um dann diesen Titel auch tragen zu dürfen – und den möchte ich euch hier auf jeden Fall bestätigen. Es geht ja nicht nur um die Songs, die man macht, es geht um die Live-Performance, es geht um die Freestyle-Sessions und das große Ganze.
> intro: rick ski | Panel-text & fotos: Jimi 

"Ich geh' zu Steve, der für Kies auf der Strasse breakt –
Hip Hop lebt, wenn sich auch
dein Arsch mitbewegt."

> stieber twins

© Copyright Rick Ski 2024. Alle Rechte vorbehalten.

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