das Archiv – interview cheeky
"Dass diese Platte irgendwann einmal eine historische Bedeutung haben könnte, daran
habe ich damals
nie gedacht"
> cheeky

Als Cheeky im November 1983 seine Single „Electric Boogie Boots“ veröffentlichte, konnte er kaum erahnen, welchen Meilenstein er damit für den deutschsprachigen Hip Hop setzte. In einem kleinen privaten Tonstudio in Pulheim-Stommeln entstand – gemeinsam mit den Produzenten Sandra Haas und Claudio Szenkar – eine Aufnahme, die nicht nur stilistisch, sondern auch historisch ihrer Zeit weit voraus war.
Hinter dem Projekt stand maßgeblich Claudio Szenkar, ein Produzent auf höchstem Niveau mit Wurzeln bei der EMI. Von der Konzeption über die musikalische Umsetzung bis hin zu Scratches, Vocoder-Einsatz und innovativer Soundproduktion verantwortete er das Projekt
im Alleingang – und fand mit Cheeky den idealen Künstler für diese künstlerisch kompromisslose Vision. „Electric Boogie Boots“ war zwar nicht die erste Rap-Platte in deutscher Sprache – andere Künstler hatten bereits vereinzelt Versuche unternommen – doch sie war die erste authentische Veröffentlichung eines Künstlers direkt aus der Hip Hop-Szene. Und das zu einer Zeit, als der Begriff „Deutschrap“ noch gar nicht existierte.
Über 40 Jahre sind seitdem vergangen. Cheeky war weder öffentlich präsent noch in der Szene aktiv – bis jetzt. Es war Rick Ski, dem
es gelang, den Kontakt zu ihm herzustellen und damit den Weg für ein exklusives, sehr persönliches Interview zu ebnen. Gemeinsam mit Cheeky haben wir die Orte in Köln besucht, an denen alles begann und die während der Produktion der Maxi relevant waren – eine emotionale Zeitreise für ihn und für uns, zurück zu einem nahezu vergessenen Kapitel deutscher Hip Hop-Geschichte.
Es ist uns ein zentrales Anliegen, diese musikalische Pionierleistung in ihren historischen Kontext einzuordnen – für alle, die die Platte zwar kennen, aber nie ihre Geschichte erfahren haben. Gleichzeitig möchten wir neue Generationen für dieses wichtige Kapitel deutscher Musik- und Hip Hop-Geschichte sensibilisieren.
„Electric Boogie Boots“ ist kein Relikt – es ist Fundament. Und Cheeky ist ein stiller Wegbereiter. Jetzt ist der richtige Moment, ihm
und seiner Arbeit die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdient.
rick ski
> Erzähl uns bitte etwas über deinen persönlichen Hintergrund
Geboren wurde ich in Köln-Lindenthal, aufgewachsen bin ich jedoch in Frechen, wo ich auch einen Großteil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe. Ich komme aus einer großen Familie mit zwei Schwestern und einem Bruder. Meine Eltern leben noch, mittlerweile sind sie aber bereits im wohlverdienten Ruhestand. Mein Vater stammt ursprünglich aus Algerien, meine Mutter kommt aus Italien – diese kulturelle Mischung hat mich sehr geprägt und mein Weltbild von klein auf erweitert.
rick ski
> Hatte Musik und Tanzen in Deinem Elternhaus eine besondere Bedeutung?
Ganz im Gegenteil – das Tanzen habe ich komplett für mich selbst entdeckt, ganz ohne äußere Einflüsse.
Es war die Musik, die mich regelrecht beflügelt und etwas in mir ausgelöst hat. In Frechen, wo ich aufgewachsen bin, war die Hip Hop-Kultur damals alles andere als präsent – kulturelle Schnittstellen in diesem Bereich gab es kaum. Der einzige, mit dem ich bis heute noch Kontakt habe, ist mein guter Freund Sarven. Mit ihm habe ich damals angefangen zu tanzen, und wir haben viel gemeinsam auf die Beine gestellt. Abgesehen davon waren wir eher eine kleine Gruppe Einzelkämpfer. Ich war damals etwa elf Jahre alt, das müsste also so um 1982 gewesen sein.
"Es war die
Musik, die mich regelrecht beflügelt und
etwas in mir ausgelöst hat"

Erstklässler der Grundschule in Frechen (1977)
v.l.n.r. Lino (†), Guido, Sarven, Cheeky, Thomas.
Sarven und Cheeky gründeten kurze Zeit später
gemeinsam ein Electric Boogie-Tanzduo.
Jimi
> Breakdance war zu der Zeit in Deutschland absolutes Neuland –
wie hat das alles angefangen bei Dir?
Obwohl ich in Frechen aufgewachsen bin, war ich ständig in Köln unterwegs – natürlich heimlich, ohne dass meine Eltern etwas davon wussten. Ich bin einfach in die Bahn gestiegen und zum Neumarkt gefahren. Ich war, wie ich es gern nenne, „auf Entdeckungstour“, wollte einfach wissen, was draußen so los war. Und dann kam dieser eine Moment: Als ich zum ersten Mal Breakdancer gesehen habe, war es um mich geschehen. Das hat mich so stark beeindruckt, dass ich wusste – da will ich dazugehören.
Ich kannte niemanden von ihnen, aber das war mir egal. Ich hab mich einfach dazugestellt und mitgemacht. Damals gab es in Köln zwei größere Gruppen – heute würde man Crews sagen. Das waren lose Zusammenschlüsse von Leuten, die einfach dieselbe Leidenschaft geteilt haben. Noch ohne Namen, ohne einheitlichen Look. Im Gegensatz zur Rock Steady Crew zum Beispiel, die mit ihren blau-gelben Overalls total professionell rüberkamen – das hat mich damals extrem beeindruckt.
Die eine Gruppe war meist an der Schildergasse unterwegs, wir hatten unseren Spot an der Passage an den Ringen. Wir waren schon nicht schlecht, aber die Jungs von der Schildergasse – die waren nochmal eine andere Liga. Tänzerisch weiter, besser ausgestattet, stylischer. Die hatten richtig coole Klamotten, einen riesigen Ghettoblaster – das volle Programm. Klar, wir hatten auch unsere weißen Handschuhe, Mützen, und wer eine Sonnenbrille hatte, war sowieso ganz weit vorne. Was uns aber alle verbunden hat, war die gemeinsame Jagd nach großen Pappkartons, die wir auf den Boden geklebt haben, um darauf unsere Moves zu zeigen. Das war unsere Bühne.
"Das war für uns wie ein Fenster in eine völlig neue Welt – und der Startschuss für alles, was danach kam"

Auf dem Gelände des ehemaligen EMI-Studios
Cheeky am Maarweg 149 in Köln-Braunsfeld – jenem Ort,
an dem seine Single einst auf dem Label veröffentlicht wurde.
rick ski
>Welche Einflüsse haben Deinen Tanzstil geprägt – gab es Vorbilder, an denen Du Dich
orientiert hast?
In den frühen 80er Jahren war natürlich Michael Jackson eine riesige Inspiration für uns – seine Moves, sein Stil, das war einfach bahnbrechend. Aber auch direkt auf der Straße, bei den Leuten, mit denen ich getanzt habe, gab es echte Vorbilder. Ich erinnere mich besonders an Michael und Sascha – die beiden hatten unfassbar starke Breakdance-Moves drauf. Sascha zum Beispiel hatte so schnelle Backspins, dass man ihn kaum noch erkennen konnte, wenn er loslegte. Und seine Robot-Moves waren unglaublich präzise – das hatte schon ein richtiges Show-Niveau.
Dann war da noch ein Tänzer namens Murat, der – soweit ich weiß – aus Marokko stammte. Er hat uns mit seinen marionettenartigen Bewegungen total beeindruckt. Bei ihm sah alles so flüssig, rund und perfekt aus – als hätte er keinen Knochen im Körper.
Unsere ersten Berührungspunkte mit der Szene kamen übrigens über das Fernsehen – vor allem über die Sendung Formel 1. Da liefen damals Videos wie Buffalo Gals von Malcolm McLaren & The World’s Famous Supreme Team oder auch Sachen von Captain Hollywood. Das war für uns wie ein Fenster in eine völlig neue Welt – und der Startschuss für alles, was danach kam.
jimi
> Wie habt ihr euch in einer Zeit ohne Internet oder Fachzeitschriften über Breakdance informiert und woher kamen eure Inspirationen und Ideen für neue Moves?
Bei einem Kumpel haben wir uns damals Videokassetten mit Aufzeichnungen von TV-Sendungen angeschaut, in denen Breakdance-Videos liefen. Und wenn eine spannende Szene kam, haben wir einfach auf Pause gedrückt – oder in Zeitlupe geschaut, um überhaupt zu verstehen, was da gerade passiert. Das war echt was (lacht). Aber anders ging das einfach nicht. Wir haben versucht, jede Bewegung genau zu analysieren, Schritt für Schritt.
Unser eigener Stil, der daraus entstanden ist, kam komplett aus uns selbst heraus. Wir haben uns vom Bass und vom Rhythmus der Musik leiten lassen, haben versucht, die Musik zu fühlen – wirklich mit ihr zu verschmelzen – und daraus dann eigene Moves entwickelt. Je besser man wurde, desto mehr hat sich das Repertoire erweitert. In der Zeit haben wir eigentlich ständig getanzt – überall, wo es irgendwie ging.
Für mich stand dabei immer der Spaß an der Bewegung im Vordergrund. Das war meine größte Motivation. Diese ganze Kultur war für uns komplett neu, aufregend, und ich hatte einfach Lust, das zu entdecken – herauszufinden, wie diese Moves funktionieren und wie man sie selbst umsetzen kann. Heute kann man sich das kaum noch vorstellen, aber damals war das einfach der heißeste Kram aus Amerika – und wir waren total fasziniert davon. Es war neu, es war anders, und es war einfach unglaublich cool.
rick ski
> Bist Du zur damaligen Zeit auch noch mit anderen Elementen der Hip Hop-Kultur
in Kontakt gekommen?
Ich hatte ganz rudimentäre Grundlagen im Beatboxing, aber das war’s auch schon – für mich stand das Tanzen immer im Mittelpunkt. Das war meine große Leidenschaft, der ich auch wirklich meine ganze Aufmerksamkeit gewidmet habe.
Wobei ich dazusagen muss: Ich war eher im Electric Boogie zuhause und habe nur vereinzelt Breakdance-Elemente eingebaut. Das war mehr meine Welt – isolierte Bewegungen, Wellen, Popping. Und das steckt bis heute in mir drin. Ich kriege die Moves auch heute noch hin – vielleicht nicht mehr ganz so fluffig wie damals, aber das ist einfach Teil meiner DNA geblieben.
"In dem Alter
konnte ich
das alles
überhaupt nicht
richtig einordnen"

Die beiden veröffentlichten Formate als 7" und als 12"
zusammen mit dem handgeschriebenen Promo-Brief,
der einigen Exemplaren beigefügt wurde.
rick ski
> Wer hat sich eigentlich den Look vom Plattencover ausgedacht – war das schon früh geplant oder ist das eher spontan während der Produktion entstanden?
Ich bin damals mit Sandra und Claudio in die Stadt gefahren – die beiden haben mir dann das Outfit in Weiß und Rot zusammengestellt, so wie man es auch auf dem Plattencover sieht. Wir hatten uns im Vorfeld schon über mögliche Styles unterhalten und ein grobes Bild davon im Kopf, wie das Ganze aussehen könnte. Die Shirts haben wir dann noch mit meinem Namen bedrucken lassen. Irgendwer von den beiden hat sogar die Hosenträger mit dem Muster der amerikanischen Flagge entdeckt – die haben einfach perfekt dazu gepasst. Dazu kamen noch rot-weiße Baseball-Caps, die das Ganze optisch abgerundet haben.
Leider habe ich heute nichts mehr von den Sachen. Damals habe ich mir keine Gedanken gemacht, dass das irgendwann mal eine besondere Bedeutung haben könnte. Im Nachhinein ist das natürlich schade – es wäre schön gewesen, ein paar Erinnerungsstücke aus dieser aufregenden Zeit behalten zu können.
jimi
> Du hast bereits Sandra und Claudio erwähnt – die beiden Produzenten Deiner Platte. Bei einigen Exemplaren der Platte liegt dieser handgeschriebene Promo Brief von Dir bei, datiert auf den 25.11.1983, aus dem ich folgendes zitiere:
„Vor ein paar Wochen haben mich Sandra und Claudio zufällig auf der Strasse tanzen gesehen. Sie fragten mich, ob ich Lust hätte, eine Schallplatte zu machen. Ich habe Ja gesagt und war sehr stolz. Jetzt ist die Schallplatte fertig.“
Kannst Du uns bitte diese Szene der ersten spontanen Kontaktaufnahme und den daraus folgenden Ereignissen erläutern?
Ich habe damals ganz normal mit den Jungs aus unserer Breakdance-Gruppe an unserem Spot an den Passagen am Ring getanzt – wie so oft. Und dann kamen plötzlich zwei Leute auf mich zu und sagten sinngemäß: „Wir würden gerne mit dir eine Platte machen.“ Das war total überraschend. Vor allem, weil sie direkt klarstellten, dass sie das nur mit mir allein machen wollten – nicht mit der ganzen Gruppe als Kollektiv.
Ich war völlig überrumpelt. Ich meine, stellt euch das mal vor: Du tanzt auf der Straße, denkst an nichts Besonderes – und plötzlich wirst du auf eine Plattenproduktion angesprochen. In dem Alter konnte ich das alles überhaupt nicht richtig einordnen. Ich hab ihnen dann meine Telefonnummer gegeben, damit sie sich bei meinen Eltern melden konnten.
Wann genau das war, kann ich heute ehrlich gesagt gar nicht mehr genau sagen – es ist einfach zu lange her. Aber ich schätze, es war im Frühjahr 1983. Jedenfalls hat Claudio dann tatsächlich bei meinen Eltern angerufen, um ein Treffen bei uns zuhause zu arrangieren. Und da kamen Sandra und er vorbei, um alles in Ruhe zu erklären – ihr Konzept, ihre Ideen, und wie sie sich die ganze Umsetzung vorgestellt haben. Das war schon ein ziemlich surrealer Moment.
jimi
> Gab es zu dem Zeitpunkt schon eine konkrete Songidee oder sogar eine Komposition, oder hatten Sandra und Claudio damals vor allem ein Konzept und suchten noch den passenden Tänzer, dem sie den Song massgeschneidert hätten?
Den Song gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich glaube, Sandra und Claudio hatten schon länger eine Idee im Kopf und vielleicht auch ein grobes Konzept, aber nichts Konkretes. Ich nehme an, die Initialzündung war, als sie mich tanzen gesehen haben. Sowohl mein Tanzstil als auch ich als Typ passten offenbar genau in das, was sie sich vorgestellt hatten, und deshalb haben sie mich angesprochen.
Kurze Zeit später stand ich dann tatsächlich schon im Studio. Übrigens ist dort auch mein Künstlername entstanden. Claudio hat gesagt, meine aufgeschlossene Art hätte etwas Freches, und als er das ins Englische übersetzte, kam genau daraus mein Künstlername zustande.
jimi
> Wie lief das ab? Wer war verantwortlich für die Beats, Scratches und die Texte?
Das wurde alles von Claudio in seinem privaten Tonstudio gemacht. Es war wirklich beeindruckend, als ich mit ihm in seinem Studio in Stommeln-Pulheim saß und live miterleben konnte, wie der Song entstanden ist. Der ganze Raum war bis unter die Decke vollgestopft mit den unterschiedlichsten Geräten – Drum Machines, Samplern und was weiß ich noch alles. Claudio hat sich sogar um die Scratches gekümmert, obwohl er das eigentlich gar nicht richtig konnte. Ich erinnere mich noch genau: Bei den Aufnahmen sind ihm glaube ich drei Nadeln kaputt gegangen, sodass er irgendwann angefangen hat, Scratch-Geräusche einfach mit dem Band der Tonbandmaschine zu erzeugen. Zum Beispiel ist der Part im Refrain auf diese Weise entstanden.
Sandra war vor allem für den Text zuständig. Der enthält allerdings weder persönliche Referenzen von mir noch andere Elemente meinerseits. Insgesamt habe ich schnell gemerkt, dass die beiden sehr genaue Vorstellungen davon hatten, was sie wollten, sodass ich nicht wirklich aktiv in den Entstehungsprozess eingebunden war.
Das erklärt auch, warum die Produktion in nur wenigen Wochen – in unregelmäßigen Abständen, wenn ich im Studio war – abgeschlossen wurde. Trotzdem war unsere Zusammenarbeit von gegenseitigem Respekt geprägt und hat viel Spaß gemacht.
"Und obwohl ich damals noch sehr jung war, konnte ich spüren, dass wir dabei waren, etwas ganz Besonderes zu erschaffen"

jimi
> Wir haben gerade darüber gesprochen, wie stark die Einflüsse aus Amerika für Dich waren und wie sehr ihr davon geprägt wurdet. Wer hatte eigentlich die Idee, den Songtext auf Deutsch zu schreiben – etwas, das damals ja eigentlich völlig undenkbar war?
Genau diese Besonderheit war von Anfang an Teil des Konzepts: die erste deutschsprachige Scratch- und Break-Platte zu machen. Mich hat auch niemand gefragt, ob ich lieber auf Englisch oder Deutsch rappen wollte – das stand von Anfang an fest. Ich würde sogar behaupten, dass es vor allem Claudios Vision war, mit diesem Song etwas völlig Neues zu schaffen, etwas, das es bis dahin so noch nicht gegeben hatte.
Und obwohl ich damals noch sehr jung war, konnte ich spüren, dass wir dabei waren, etwas ganz Besonderes zu erschaffen. Schon allein die Bezeichnung „Erste deutschsprachige Scratch and Break Single“ war eine wegweisende Ansage von den beiden. Dass diese Platte irgendwann einmal eine historische Bedeutung haben könnte, daran habe ich damals nie gedacht. Es war schlichtweg nicht absehbar.
rick ski
> In der damals entstehenden Hip Hop-Szene war das Rappen ja noch eine Besonderheit, weil sich viele in der Zeit vor allem aufs Tanzen konzentriert haben. Mussten Sandra und Claudio Dir das Rappen und die Taktstruktur beibringen, oder haben sie Dir den Part einfach einmal vorgerappt?
Das ging für mich ganz einfach. Ich habe mich einfach auf mein Gefühl verlassen. Takt- und Rhythmusgefühl hatte ich durch meine tänzerischen Fähigkeiten schon gut entwickelt, deshalb fiel es mir nicht schwer, die Texte musikalisch passend auf den Beat zu legen. Ich konnte den Beat förmlich spüren.
Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir die Rap-Parts sogar an nur einem Tag aufgenommen. Danach ging es vor allem darum, die Termine einzuhalten, damit das Veröffentlichungsdatum eingehalten werden konnte. Claudio kannte außerdem die Leute bei EMI Electrola, weil er viel für das Label produziert hat. Dadurch waren auch dort schon alle Weichen für das Release gestellt.
Als die Platte dann schließlich veröffentlicht wurde, hat mich das natürlich mit großem Stolz erfüllt.
rick ski
> Kommen wir nochmal zurück zu dem Promo-Brief, der einigen Schallplatten beigelegt wurde. Am Ende gab es ja einen Coupon, mit dem man eine Videokassette mit dem Musikvideo bestellen konnte. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Anfang der 80er Jahre wurde es immer populärer, dass Künstler zu ihren Songs eigene Musikvideos hatten. Deshalb haben wir zu „Electric Boogie Boots“ vor der Veröffentlichung der Platte auch ein Musikvideo gedreht – zusammen mit einem professionellen Produktionsteam der EMI im Stollwerck. Leider ist von den alten Hallen heute kaum noch etwas übrig, bis auf ein kleines Industriedenkmal. Als wir das Video aufgenommen haben, standen dort noch die Ruinen der Produktionshallen, und genau dort habe ich dann getanzt und gerappt.
Besonders cool war, dass sie extra für den Dreh einen schwarz-roten Roboter gebaut hatten, der sich bewegen konnte und auch im Video zu sehen ist. Das Video war aber explizit als Promo-Video gedacht, wurde im Rahmen der Veröffentlichung kostenlos angeboten aber nie im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlt.
Leider habe ich das VHS-Band nicht mehr, und ich kenne auch niemanden, der es noch besitzt.

Ehemalige Stollwerckfabrik in Köln
Als Industriedenkmal erhaltener Räderraum
der Kühlkompressoren. In den Ruinen wurde
1983 das Video zur Single gedreht.
Jimi
> Aus künstlerischer und wirtschaftlicher Sicht ist die Produktion einer Schallplatte immer ein grosser Aufwand. War damals geplant, nach der Single noch eine weitere Single oder vielleicht sogar ein ganzes Album mit Dir zu machen?
Nein, überhaupt nicht. Das Konzept war von Anfang an: Wir machen dieses eine Ding und schauen dann, was daraus wird. Natürlich haben sie sich die Optionen zum Teil offengehalten, aber erstmal wollten sie sehen, wie die Resonanz auf die Platte und die Verkaufszahlen ausfallen würden. Hätte sich die Platte richtig gut verkauft, hätten wir bestimmt noch eine zweite gemacht – aber das ist leider nicht passiert.
Trotzdem hat die Platte in meinem direkten Umfeld richtig für Aufsehen gesorgt. Alle waren erstaunt, und als ich Ende 1983 mit dem Song im WWF Club aufgetreten bin, das hat natürlich auch jeder mitbekommen. Aber weder im Freundeskreis noch in der Klasse gab es Neid oder Missgunst – das wurde durchweg positiv aufgenommen. In der Zeit wurde ich sogar ein paar Mal auf der Straße erkannt. Das waren meine berühmten „15 Minutes of Fame“.
Danach hatte ich noch ein paar Live-Auftritte. Ich erinnere mich sogar an ein Interview nach einem Auftritt in einer großen Discothek, allerdings weiß ich nicht mehr, welche es genau war. Außerdem gab es einen Fernsehauftritt bei RTL Luxemburg, der nach der WWF Club-Sendung stattfand. Das war’s dann auch.
Rückblickend war das für mich eine einmalige Sache, bei der in mir kein Wunsch gereift ist, Musiker zu werden. Ich habe jede Phase dieser verrückten Zeit sehr genossen, aber so, wie es gelaufen ist, war es genau richtig. Das Tanzen habe ich übrigens noch bis zu meinem 18. Lebensjahr weiter betrieben – allerdings für mich alleine, ohne Crew.
jimi
> Gab es ab 1984 eine Erweiterung oder Durchmischung der Szene, sodass sich Leute aus den verschiedenen Elementen der Hip Hop-Kultur stärker vermischt und zusammengefunden haben?
Für uns war der Austausch mit den DJs sehr wichtig. Sie hatten immer die neuesten Beats als Importplatten und konnten uns so mit den aktuellsten Mixtapes versorgen. Das war eine entscheidende Entwicklung für uns, weil wir so immer am Puls der Zeit bleiben konnten.
rick ski
> Nach meiner Wahrnehmung hat die Breakdance-Kultur damals die Durchmischung verschiedener Kulturen gefördert und Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen und nationalitäten zusammengebracht, die gemeinsam kreativ wurden und sich austauschten. Siehst du das genauso?
Man kam einfach zusammen und tanzte gemeinsam – ganz egal, welchen Hintergrund man hatte, aus welchem Land man kam oder welche Sprache man sprach. Das Tanzen war der große gemeinsame Nenner, der alle verband.
Leider kam Mitte der 80er Jahre die Zeit, in der Drogen in der Szene Einzug hielten, und das führte dazu, dass die Szene vorerst auseinanderbrach. Es war direkt das schwere Zeug wie Heroin und Kokain. Ab diesem Zeitpunkt bin ich dann auch nicht mehr nach Köln gefahren, sondern habe nur noch für mich selbst getanzt – und das hat mir völlig gereicht.
rick ski
> 1983 und 1984 gab es unglaublich viele Tanzwettbewerbe. Die Bravo hat zum Beispiel den Film „Breakdance Sensation '84“ beworben und im Rahmen dessen eine deutsche Meisterschaft sowie Vorentscheide in Diskotheken organisiert. Hast du damals auch an vielen Wettbewerben teilgenommen?
Es waren nicht viele Wettbewerbe, man kann sie an einer Hand abzählen. Der größte Erfolg war ein Wettbewerb, der von der Einkaufscenter-Kette „Kaufring“ ausgetragen wurde. Dort haben Sarven und ich den zweiten Platz gemacht und als Preis eine Stereoanlage gewonnen – das war zu der Zeit ein richtiger Wahnsinnspreis. Von diesem Abend gibt es sogar noch Fotos.
Ansonsten waren wir vor allem in Kölner Diskotheken unterwegs, zu denen man zu Wettbewerben eingeladen wurde, bei denen meist fünf bis sechs Crews antraten. Sarven und ich haben vor allem synchron Choreografien getanzt, die wir selbst ausgedacht und zusammengestellt hatten.
Obwohl es natürlich einen gewissen Konkurrenzgedanken gab, war die Szene untereinander eng verbunden, und das Tanzen hat uns alle vereint. Darüber musste man nicht groß reden – es gab ein gemeinsames Interesse und die gleiche Leidenschaft für Tanzen und Musik, und dann ging es einfach los.
Komischerweise hatte ich bei Auftritten nie richtiges Lampenfieber. Natürlich ist man angespannt, aber das hat mich eher fokussiert. Ich habe das alles immer locker gesehen, und das hat mir geholfen, meine Bewegungen entspannt und natürlich zu präsentieren. Rückblickend würde ich sagen, ich bin da fast schon naiv rangegangen – einfach unbekümmert, ohne große Gedanken.

Auftakt der Showeinlage beim Breakdance-Wettbewerb im Frühjahr 1984 im Einkaufszentrum 'Kaufring' in Frechen.
Im Hintergrund beobachtet das gespannte Publikum die Performance der beiden Tänzer Cheeky (links) und Sarven (rechts).

Gruppenfoto der Gewinner des Breakdance-Wettbewerbs im Frühjahr 1984 im Einkaufszentrum 'Kaufring' in Frechen
In der vorderen Reihe: Das Tanz-Duo Cheeky und Sarven, Zweitplatzierte des Wettbewerbs. In der mittleren Reihe: Die Breakdance-Crew 'Pulheimer Jungs' aus Pulheim bei Köln, die den dritten Platz belegte - darunter auch Metin (gelbes Shirt).
In der hinteren Reihe: Drei Mitglieder der erstplatzierten Superfly Breakdance-Crew aus Köln. Yousaf (†), Zafer und Dogan (v.l.n.r.). Darüber, in der Bildmitte: Anthony (†) - ebenfalls Mitglied der Superfly Crew.

Die Gewinner bei der Preisverleihung des Breakdance-Wettbewerbs im Frühjahr 1984 im Einkaufszentrum Frechen
Vorne Links: Cheeky, rechts daneben Sarven - das zweitplatzierte Tanz-Duo bei der Entgegennahme ihrer Preise.
Dahinter: Drei Mitglieder der Breakdance-Crew 'Pulheimer Jungs' aus Pulheim bei Köln, die den dritten Platz belegte. Im gelben Shirt: Metin, Mitglied der 'Pulheimer Jungs'.
rick ski
> Wo siehst du dich selbst in der Geschichte des deutschen Hip Hop und welche Bedeutung misst du der ersten deutschsprachigen Single in diesem Kontext bei?
Ganz ehrlich, für mich war das damals vor allem ein großer Spaß. Das ist alles ganz spontan passiert, und ich habe mich einfach darauf eingelassen und die Erfahrung mitgenommen. Ehrlich gesagt hat mir das auch gutgetan – es war ein tolles Gefühl. Aber das war es dann auch. Ob die Single relevant ist oder nicht, sollen andere entscheiden.
Inzwischen habe ich mit der deutschen Hip Hop-Szene nichts mehr zu tun. Ganz offen gesagt gefällt mir der deutsche Rap heute nicht mehr so sehr – vielleicht liegt das sogar eher am Klang der Sprache als am Inhalt. Für mich muss Hip Hop auf englisch sein. Ähnlich sehe ich es mit der Breakdance-Szene: Ich habe ihre Entwicklung seit Mitte der 80er Jahre einfach nicht mehr verfolgt.
Meine neue Leidenschaft heißt Techno. Das ist die Musik, die mir heute den richtigen Kick gibt. Für mich schließt sich da ein Kreis, weil Techno sehr tanzlastig ist und ich mich dabei, genau wie früher, einfach gehen lassen kann.
"Ob die Single relevant ist
oder nicht,
sollen andere entscheiden"
