das Archiv – interview Rask

"Ich denke, ohne Competition wäre Hip Hop nie dahin gelangt, wo er
heute ist.
Dieses 'einfach mal
machen und zur Not
mit dem Kopf durch die Wand gehen'
ist zum Teil auch die DNA von Hip Hop"

> rask

> Was sind deine Anfänge? Wie bist Du überhaupt zum Hip Hop gekommen?

Das ist eine gute Frage – wie bin ich überhaupt zum Hip Hop gekommen? Ich habe mir diese Frage selbst schon oft gestellt. Ich glaube, meine erste Begegnung mit Hip Hop, ohne damals zu wissen, dass es sich dabei um Hip Hop handelt, war bei meinen Großeltern. Im Hintergrund lief die „ZDF TeleIllustrierte“, und die Fat Boys waren zu Gast. Das muss Ende der 80er Jahre gewesen sein, aber genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls habe ich durch diese Sendung erfahren, dass es da etwas gibt, das mich als Kind total fasziniert hat – ohne zu wissen, wie man das wirklich definiert. Für mich war es damals einfach „coole Musik“ und ein „cooler Style“, den ich einfach geil fand.
 
So richtig begriffen, was da abgeht, habe ich erst Anfang der 90er Jahre, als ich etwa 11 oder 12 Jahre alt war. Da kam ich über den älteren Bruder eines Freundes erneut mit Hip Hop in Kontakt. Er war fünf Jahre älter als wir und hatte zu der Zeit bereits angefangen, mit seinen Freunden in seinem Kinderzimmer erste Rap-Versuche auf Englisch zu machen. Er hatte auch schon eine ziemlich gut sortierte CD-Sammlung mit Künstlern wie Digital Underground, De La Soul und der damaligen englischen Clubmusik, die häufig auch Rap-Elemente enthielt. Ich fand das alles besonders musikalisch spannend, weil es einfach völlig anders war als das, was ich bis dahin gehört hatte.
 
Spätestens mit „Yo! MTV Raps“ bin ich dann richtig eingetaucht – die klassische Sozialisierung der damaligen Zeit (lacht). Dort liefen auch Bands wie Public Enemy, die wie ein Türöffner für mein Denken waren. Als ich das erste Mal das Video zu „Fight The Power“ gesehen habe, war alles anders. Es hatte eine unglaubliche Energie, es war durchdringend, rebellisch und gleichzeitig faszinierend. Natürlich habe ich mir dann sofort die Alben gekauft, rauf und runter gehört und die Texte auswendig gelernt.
 
Parallel zu dieser Entdeckungsreise habe ich mitbekommen, dass es auch deutsche Hip-Hop-Ansätze gab. Ich denke da an Gruppen wie Advanced Chemistry, Die Fantastischen Vier, Fresh Familee oder auch die Reimbanditen. Wir haben uns dann nachmittags zusammen gesetzt, Texte geschrieben und diese im Kinderzimmer aufgenommen. Zu dieser Zeit gab es eine Reihe von Simon Harris mit dem Titel „Beats, Breaks & Scratches“, auf denen diverse Drum-Breaks zu finden waren, die wir als Grundlage für unsere Songs genommen haben. Mit einem 20-DM-Mikrofon und einem Monacor-Mischpult wurden die Songs dann auf Kassette aufgenommen. Die Themen kann man am besten mit dem Begriff „Schüler-Referat-Rap“ beschreiben – ein Song handelte von Umweltverschmutzung, Rassismus oder auch davon, wie cool man war. Es war alles eher aus Spaß und ohne irgendwelche ernsthaften Hintergedanken aufgenommen.

> Hast du mit der Musik gleichzeitig mit dem Entdecken der Hip Hop-Kultur angefangen, oder kam das erst später?

Das kam in der Tat relativ früh, weil ich mich von der Musik – oder besser gesagt, von der Kultur – animiert fühlte. Hip Hop war dieses „Mitmach-Ding“, bei dem die Hürde im Vergleich zu anderen Musikrichtungen viel niedriger war. Du musstest weder ein Instrument lernen noch singen können. Es ging vielmehr darum, Reime zu finden, mit denen man sich ausdrücken konnte. Den tieferen Sinn der Kultur – also die kulturellen Bezüge – haben wir damals allerdings noch nicht verstanden. Wie gesagt, der Übergang von „Ich höre diese Musik“ zu „Ich mache auch diese Musik“ war bei mir fast fließend. Für uns war es ein Entdecken neuer kreativer Ausdrucksformen und Werkzeuge. Ich erinnere mich auch, dass es so um 1992/1993 war, als wir bei einem Schulevent auftraten. Einmal im Jahr gab es in der Aula einen Musikabend, bei dem verschiedene musikalische Aktivitäten aus der Schule präsentiert wurden. Im Rahmen dieser Veranstaltung haben wir zusammen mit der Schulband einen eigenen Rap-Track performed (lacht). Auch wenn wir einerseits schon von deutschen Gruppen gehört und selbst etwas auf Deutsch gemacht hatten, war Hip Hop zu dieser Zeit einfach noch eine fast rein amerikanische Kultur – zumindest in der Wahrnehmung.
 
Die eigentliche Initialzündung, der Moment, der alles für mich verändert hat, war die „Lost in Music“-Dokumentation, die damals im ZDF lief. Meine Mutter hatte mich darauf aufmerksam gemacht, weil sie wusste, dass ich mich für Hip Hop interessierte. Also habe ich mir diese Sendung angesehen. Dort waren auch Leute wie Cora E oder Torch zu Gast, die erklärten, dass zur Hip Hop-Kultur weit mehr gehört als nur Musik oder Rap – auch B-Boys, Writer, DJs, Knowledge und sogar Mode. Wenn ich mir heute ältere Leute anschaue, die ihren „Aha-Moment“ mit „Wild Style“ hatten, dann war diese Dokumentation mein ganz persönliches „Wild Style“. Stell dir vor, du bist 12 oder 13 Jahre alt und auf der Suche nach deiner eigenen Identität, und plötzlich bekommst du von außen ein Framework an die Hand – da will man einfach dabei sein. Ab diesem Moment habe ich angefangen, das Ganze ernster zu nehmen und mich intensiver mit den Hintergründen zu beschäftigen: Wo kommt diese Kultur her? Wo geht sie hin? Wie kann ich mich ausprobieren? Ich begann zu dieser Zeit zu taggen und wollte alle Facetten der Kultur verstehen. Damals war die Informationsbeschaffung jedoch noch viel schwieriger. Klar, in größeren Städten gab es Graffiti-Magazine, aber gerade was das Musikmachen anging, war das eine ganz andere Herausforderung. Es gab kaum sichtbare Ressourcen oder Dokumentationen. Anfangs dachte ich wirklich, dass man einfach einen Plattenspieler braucht und sich dann alles ineinander scratcht.

"Weil bei uns nichts los war, fuhren wir in andere Städte
und versuchten, die Hip Hop-Kultur zu erleben"

Ich bin in einer kleinen Stadt in der Nähe von Münster aufgewachsen, und dort waren wir unter den knapp 15.000 Einwohnern echte Außenseiter, weil Hip Hop einfach nicht existierte. Keiner hörte Hip Hop oder machte selbst etwas damit. Zusammen mit ein paar anderen Leuten haben wir die lokale Hip Hop-Szene geprägt und versucht, uns alles selbst beizubringen. Irgendwann kam dann „Viva Freestyle“, was zu der Zeit eine wichtige Informationsquelle war, um herauszufinden, was in Deutschland passierte. Später, als ich älter wurde, fuhr ich dann in andere Städte. Wer erinnert sich nicht an dieses nostalgische „Tramper-Feeling-Ticket“? Weil bei uns nichts los war, fuhren wir in andere Städte und versuchten, die Hip Hop-Kultur zu erleben. Ab 1995 waren wir regelmäßig unterwegs, und Münster war unser nächstes Ziel, da dort öfter Veranstaltungen stattfanden. Auch Osnabrück war ein wichtiger Punkt, weil dort Mitte der 90er Jahre Hip Hop in der Jugendarbeit stark gefördert wurde. Insofern fanden dort ständig Jams in Jugendzentren statt. Ich spreche von den klassischen Jams, bei denen es vor der Bühne einen B-Boy/B-Girl Circle gab, die Writer ihre Blackbooks zeigten und auf der Bühne die Musik stattfand. Diese Veranstaltungen waren nicht nur großartig, um den Spirit zu erleben, sondern auch, um Leute zu treffen, die genau das gleiche machten wie man selbst – nur aus anderen Regionen. Leute, die aus dem Emsland nach Osnabrück fuhren oder von woanders. Durch die ständigen Treffen von bestimmten Gruppen und Menschen bildete sich eine Community.
 
Wie gesagt, in meiner Region war damals wenig in Sachen Hip Hop los. Ich erinnere mich an viele Fahrten nach Osnabrück, Dortmund oder sogar Köln, wo wir zuerst in die Plattenläden pilgerten, um uns die Vielfalt der Interpreten anzusehen. Eine weitere Informationsquelle waren Flyer, die wir wie verrückt sammelten, um herauszufinden, wo etwas ging – Events, Workshops, egal was. Auch die ersten Magazine kamen auf den Markt, und natürlich gab es jede Menge Trial & Error. Wenn es um die Musik geht: Es hat eine verdammt lange Zeit gedauert, bis wir das Level erreicht hatten, bei dem wir dachten, dass es genug ist, um uns in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

> Du bist also nicht nur zu den Jams gegangen, um Musik zu hören, sondern auch, um zu lernen, wie Musik gemacht wird? Also, um Gleichgesinnte zu treffen und sich über Aufnahmetechniken und technische Fragen auszutauschen?

Genau – für mich war es eine Plattform, um mich mit anderen über diese Dinge auszutauschen, denn nur bei solchen Veranstaltungen traf man Gleichgesinnte. Das Prinzip „Each one, teach one“ wurde dort wirklich gelebt. Heutzutage hat sich das Ganze leider stark verändert, und das finde ich persönlich schade. Du gehst heutzutage zu einem Event, das Konzert startet um 20 Uhr, und am Ende der Show gehst du einfach wieder nach Hause. Punkt. Damals bist du schon mittags zur Location gefahren, hast dich mit den Leuten unterhalten, die ebenfalls schon den ganzen Tag dort waren. Es gab Cyphers, in denen gerappt wurde, Leute haben Skizzen getauscht oder gemalt. Es gab ein gemeinsames Identifikationsmerkmal. Nach der Show – das kennst du sicher auch noch – hat man nachts auf den ersten Zug gewartet oder ist durch die Stadt gezogen, weil man vor 6 Uhr morgens nicht nach Hause konnte. Man hat einfach noch mit den Leuten rumgehangen und sich intensiv ausgetauscht. In bestimmten Regionen traf man immer wieder dieselben Gesichter, konnte sich ein Update geben und wusste, wer dieses Hip Hop-Ding genauso ernst nahm wie man selbst.
 
Irgendwann hatten wir so viel Wissen angesammelt, dass wir wussten, dass man zum Aufnehmen unter anderem einen Drumcomputer brauchte, um Beats zu machen. Ein Kollege hat sich dann ein einfaches Gerät von Yamaha gekauft – keine klassische MPC oder SP1200, die waren für uns viel zu teuer – und damit haben wir dann versucht, unsere eigenen Beats zu produzieren. Ich habe sogar ein paar von diesen alten Sachen digitalisiert und auf meiner Festplatte. Wenn du dir das heute anschaust und es mit dem vergleichst, was zu dieser Zeit schon möglich war, war das wirklich Rookie-Level hoch 10. Ich bin wirklich froh, dass nichts davon jemals an die Öffentlichkeit gelangt ist (lacht). Aber für uns war es wichtig, diese Schritte zu gehen, um besser zu werden.
Alte Eintrittskarten –
von unzähligen Jams und Konzerten, Anfang der 90er Jahre bis heute.

> Hast du also schon in dem Moment, als du Hip Hop entdeckt hast, entschieden, dass du – im Gegensatz zu mir – nicht nur Konsument, sondern auch selbst aktiv sein möchtest? Oder gab es ein Schlüsselerlebnis, das den Ausschlag gegeben hat?

Für mich war definitiv das Schlüsselerlebnis die „Lost in Music“-Dokumentation, in der zum Ausdruck gebracht wurde, dass man in der eigenen Sprache Gefühle ausdrücken und das Vehikel Hip Hop zur Selbstverwirklichung nutzen kann.

> Und war es für dich von Anfang an der Rap? Ich frage, weil viele, die die Kultur für sich entdeckt haben, vielleicht zunächst mit dem Malen angefangen sind, dann gemerkt haben, dass Tanzen ihnen eher liegt, aber am Ende doch bei den Plattenspielern gelandet sind, weil sie dort ihr wahres Talent entdeckt haben und besonders begabt darin sind, Dinge zu erschaffen, die die bisherigen Grenzen nochmal verschieben.

Ganz am Anfang waren es die beiden Säulen Malen und Texten – für mich die spannendsten Aspekte der Anfangszeit. Gemalt habe ich aber immer mehr aus Hobby und Spaß an der Sache. Ich habe früh Leute kennengelernt, die bereits auf einem ganz anderen kreativen Level waren und das viel ernster genommen haben als ich. Besonders wenn es um Geschichten wie Bombing oder Trainwriting geht, bei denen es auch darum ging, krasse Sachen ohne Skrupel durchzuziehen – da war ich einfach immer zu verkopft. Ich fand das zwar faszinierend, wenn Leute den Anspruch hatten, die Züge oder die ganze Stadt zu „bomben“, aber diesen Pfad habe ich dann lieber den anderen überlassen. Meine Energie floss eher in Gedanken, Reime und den Wunsch, mich auszudrücken. Später kam dann das Beatmaking dazu, obwohl mich dieser Aspekt anfangs nicht sonderlich interessiert hat. Dabei fand ich die Beats schon immer wichtig – du kannst noch so gut rappen, wenn der Beat schlecht ist, ist der Song uninteressant. Da gibt’s eine Menge Beispiele.

"Je älter ich wurde, desto weniger bedeutend wurde mein Umfeld in meiner Stadt, weil ich der einzige war, der dieses Hip Hop-Ding auch wirklich ernsthaft betreiben wollte"

Geschlossene Abteilung (1997)
"Verstörte Dichter" - ein nie fertiggestelltes Demo
aus den frühen Anfangstagen.
Je älter ich wurde, desto weniger bedeutend wurde mein Umfeld in meiner Stadt, weil ich der einzige war, der dieses Hip Hop-Ding auch wirklich ernsthaft betreiben wollte. Deshalb habe ich mich mit anderen Leuten connected, die ein ähnliches Mindset hatten, und bin ab 1997, als ich meinen Führerschein hatte, mit dem Auto meiner Mutter zu jeder Jam gefahren, die irgendwie mit Open Mic zu tun hatte. Neben dem Schreiben war das irgendwann genauso spannend für mich, einfach einen Beat laufen zu lassen und zu improvisieren – mal gucken, was passiert, mal gucken, was geht. Zusammen mit Boppo habe ich dann die Crew „Rhyme Travellers“ gegründet, genau mit diesem Ansatz: Wir reisen durch die Gegend, um irgendwo zu rappen. Natürlich hat das auch wieder Verbindungen geschaffen, sodass wir kurze Zeit später Teil des Kollektivs „Bermuda Reimeck“ wurden. Das war ein Kollektiv, das aus 20-25 Leuten bestand und seinen Ursprung im „Städte-Dreieck“ Nordhorn, Meppen und Lingen (Emsland) hatte. Da war eine große, bunte Truppe mit Breakern, Writern, einer ganzen Reihe DJs und MCs.

> Seid ihr dann auch als Kollektiv aufgetreten?

Es gab durchaus auch Shows, bei denen wir als Kollektiv angefragt wurden, aber häufig war es eher so, dass nur einer von uns eingeladen wurde und die anderen trotzdem mitgekommen sind (lacht). Takeover-Move! Das war eine coole Truppe, in der wir verschiedene Generationen vereint hatten. Da gab es sowohl die Old-School-Fraktion, vor allem bei den B-Boys, die mit der ersten Breakdance-Welle 1983/1984 angefangen hatten und zu der Zeit schon um die 30 waren, während wir die Youngstars waren, die gerade erst volljährig geworden sind. Das war weder ein Hindernis noch eine Grenze – der Zusammenhalt war unglaublich gut.
Aber wie das bei größeren Gruppen oft der Fall ist, gab es auch hier verschiedene Charaktere. Die einen trieben das Ganze wie ein Leitwolf voran, aber es gab immer auch einige, die gerne mitmachten, ohne den großen Impuls zu setzen. Trotzdem war es eine tolle und verrückte Zeit, und es gab nichts, was uns aufgehalten hätte. Ich erinnere mich an eine Geschichte, bei der wir mit einem Wochenendticket nach Halle/Saale gefahren sind – quer durch Deutschland, über 12 Stunden Fahrtzeit, nur für einen Auftritt. Danach noch ein Freestyle, in irgendeiner leeren Wohnung gepennt und am nächsten Tag 12 Stunden zurück. Generell hat mich der Freestyle-Rap in dieser Zeit stark geprägt. Mir ging es darum, live auf der Bühne Gas zu geben. Zuhause habe ich weiterhin Texte geschrieben, aber noch nichts veröffentlicht.

> War das Aufnehmen der nächste logische Schritt für dich? Ich habe von vielen gehört, dass Freestyle für sie eine wichtige Grundlage war – um das Handwerk wie Timing und Flow zu erlernen. Irgendwann gab es dann einen Wandel hin zu eigenen Texten, die sie dann auch aufnehmen wollten. War das bei dir ähnlich?

Ich habe zuerst Texte geschrieben, dann habe ich Freestyle gemacht. Aber ich gebe dir recht, dass Freestyle ein ganz wichtiges Element ist – oder um überhaupt schreiben zu können. Am Anfang sitzt man da und weiß nicht, wie man überhaupt auf den Takt schreibt, wie man Silben zählt oder welche Rhythmen man entstehen lassen kann. Dieses Wissen fehlt einem zu Beginn einfach. Insofern war Freestyle ein gutes Training, weil es kein Netz und doppelten Boden gibt – wenn du den Reim nicht sauber bringst, hast du verkackt. Das hat auf jeden Fall geholfen, die Messer zu schärfen. Rückblickend betrachtet klingen die Sachen in der eigenen Wahrnehmung immer viel besser, als wenn man sie sich später anhört – das ist definitiv so. Aber deswegen war für mich auch klar, dass der Weg vom Open Mic zum Schreiben führt.
 
Kurioserweise bin ich im Moment fast mehr als Beatmaker aktiv statt als Rapper. Das Paradoxe daran ist: Rapper wollen immer Beats haben, Beatmaker hingegen denken sich oft: „Ah, schon wieder so ein Rapper“ (lacht). Das hat bei mir genau das irgendwann den Wunsch ausgelöst, tiefer in diese Beat-Materie einzutauchen.

> Wann war das ungefähr?

Meine MPC habe ich mir um 2001 gekauft, mit dem Anspruch, auch mal selbst die Musik für meine eigenen Sachen zu machen. Ich wollte nicht nur der MC sein, der auf Jams rumläuft und darauf wartet, dass er von irgendwoher Beats bekommt. Wir hatten ja schon unsere ersten Beats auf diesem Yamaha-Ding um 1997 gemacht – allerdings kann man das eher als Training im Bereich Beatmaking bezeichnen, genauso wie die Freestyle-Sessions. Der Wunsch, wirklich eigene Beats zu machen, ist über viele Jahre ganz langsam gereift, weil viele Leute, die im „Bermuda Reimeck“-Kollektiv unterwegs waren – unter anderem die Gebrüder Dick, Frisch Radikal, Onkel Dom – bereits ihr eigenes Equipment hatten. Sie nahmen zuhause auf, machten Beats und rappten.

" Damals war es
stärker ausgeprägt
als heute, dass Leute
in verschiedenen Disziplinen unterwegs waren und sich ausprobiert haben"

Gebrüder Dick
"Daumen Hoch"-Album von 1999.

Für mich war das die logische Schlussfolgerung: Wenn ich den nächsten Step gehen wollte – vom Typen,
der auf der Jam ein paar Freestyles kickt, hin zu dem Typen, der sich eine richtige künstlerische Identität aufbaut –, dann musste ich auch den Schritt gehen, in Musikequipment zu investieren. Damals war es stärker ausgeprägt als heute, dass Leute in verschiedenen Disziplinen unterwegs waren und sich ausprobiert haben. Heutzutage ist das eher selten, da viele scheinbar weniger Wert auf ihre Beats legen, sich irgendwas auf Plattformen wie „BeatStars“ kaufen und es ihnen egal ist, ob sie etwas Exklusives haben. Sie zahlen dann ihre 50 Euro und nehmen irgendwas auf. Damals hatte man eher diesen Large Professor-Ansatz, bei dem man Text und Beats selber machen wollte – alles aus einer Hand. Lord Finesse, Large Professor – solche Namen fallen einem da direkt ein.

> Retrogott ist dafür auch ein gutes Beispiel, wenn man die deutsche Szene betrachtet.

Retrogott ist zeitlich zwar erst später an den Start gekommen, aber ja, er hat das gleiche Mindset. Er ist ja auch schon lange am Start und sicherlich einer derjenigen, die sich wirklich als Künstler sehen. Daher probiert er auch alles aus und vereint verschiedene Aspekte der Kultur in seiner Musik.

> Würdest du sagen, dass nur deine eigenen Beats wirklich zu deinen eigenen Texten passen, damit das Endprodukt wie aus einem Guss wirkt?

Nein, das würde ich überhaupt nicht behaupten. Ich habe zum Beispiel 2004 zusammen mit Doggy Brown aus Münster unter dem Crew-Namen „Kryptoknightz“ ein Tape mit dem Titel „Headcrash“ gemacht – und das Ding habe ich übrigens aktuell, 20 Jahre später, nochmal neu aufbereitet, neu gemastert, minimal überarbeitet und auf Vinyl veröffentlicht. Er hat insgesamt 11 Beats dazu beigesteuert, ich nur 3 davon.
Kryproknightz - "Headcrash"
Das original Tape aus dem Jahr 2004, unten die Neuauflage auf Vinyl, die zum Teil als stark limitierte Auflage mit OBI-Strip und Booklet neu aufgelegt wurde.
Generell finde ich es großartig, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten, und habe auch immer Beats von anderen auf meinen Sachen. Ich feier es, dass jeder seine eigene kreative Mischung reinbringt, und durch die Synergie entsteht dann oft etwas ganz anderes, als das, was man vielleicht alleine gemacht hätte. Also, ich bin nicht der Typ, der nur seine eigenen Sachen zusammensetzen möchte – ich bin offen für alles.
 
Wahrscheinlich ist es auch dieser technische Aspekt, der mich irgendwann unheimlich gereizt hat: Wie zerlege ich ein Sample und setze es neu zusammen? Ich sehe da Parallelen zum Texten: Du zerlegst einen Satz in Silbenstrukturen. Darüber habe ich damals ganz viel von Onkel Dom gelernt, ebenfalls MC und Mitglied im „Bermuda Reimeck“-Kollektiv, der zu dieser Zeit schon sehr weit war, was das angeht. In allen Belangen – sowohl technisch, als auch inhaltlich und von der Delivery her. Von ihm habe ich viel mitgenommen, was Reimstrukturen und Pattern betrifft. Ich erinnere mich an unzählige Sessions in seiner alten Wohnung, in der ich auch ein paar Monate auf der Couch gepennt habe, die als Studio diente. Da standen überall Platten herum und die Booth war eine Abstellkammer, in der ich mal mehrere Stunden stand, nur um einen 16er aufzunehmen. Das war die ganz harte Schule – jedes Wort musste sitzen. Das war sehr lehrreich. Irgendwann hat man dann den Flow.
 
Genauso war es mit der MPC. Die ersten Samples kann man irgendwann loopen, aber man kann sie auch choppen bis in die kleinsten Einzelteile und dann neu zusammensetzen. So habe ich dieses „Next Level“-Ding, das ich aus dem Rap kannte, in die Musik und das Beatmaking übertragen.

> Gibt es eigentlich Beats von dir, die du nicht selbst verwendet, sondern für andere MCs gemacht hast? Oder produzierst du deine Beats ausschliesslich für deine eigenen Projekte?

Es gibt ein 7“-Release mit dem Titel „Mehr Davon“ von Toni L, das im Rahmen einer 4-teiligen Serie veröffentlicht wurde. Das ist zum Beispiel eine Produktion von mir. Ansonsten habe ich einige Instrumentals mit dem „We Keep Shit Dope“-Kollektiv veröffentlicht, die auch aus Münster stammen. Generell würde ich mich natürlich über mehr Kooperationen freuen. Allerdings habe ich das nie wirklich forciert und war auch nie der Typ, der seine Beats gezielt für andere MCs vermarktet hat. Am Ende des Tages sitze ich doch eher wie ein „Nutty Professor“ in meinem Beat-Labor und schraube erstmal den Kram für mich selbst.
 
Insgesamt würde ich das Verhältnis von Schreiben und Musikmachen auf 40/60 schätzen – ein ganz klares Übergewicht bei den Beats. Es geht mir darum, wirklich tief in die Materie einzutauchen und immer noch zu lernen. Das ist auch so eine Hip Hop-Attitüde: DIY. Ich weiß zwar nicht, wie es geht, aber ich mache es trotzdem. Und ich finde heraus, wie es gehen könnte. Es ist vielleicht nicht immer alles „richtig“, aber ich mache es. Das ist Hip Hop.

> Nicht nur immer drüber reden – sondern machen.

We Keep Shit Dope
Münsteraner Kollektiv–Tape
Genauso sehe ich es auch. Niemand wartet darauf, dass irgendwelche Kids im Viertel etwas zu sagen
haben – sie machen es einfach. Sie klemmen den Strom ab, schließen Plattenspieler an, loopen Breakbeats und die Leute tanzen dazu. Mit der Zeit wird es immer besser und perfektioniert sich. Aber man fängt halt irgendwo an. Genauso geht es mir beim Beatmachen. Ich bin kein studierter Audioengineer. Ich bin jemand, der das zwar schon lange macht, aber immer noch neue Dinge entdeckt und lernt. Ich bleibe neugierig.

> Deine Geschichte klingt bisher sehr harmonisch. Wo wir gerade über klassische Hip Hop-Werte sprechen: Gab es auch dieses Competition-Ding bei dir? Du erzählst von vielen Ereignissen, in denen man sich gegenseitig gepusht hat, jemand einen mitgezogen hat, motiviert und etwas vermittelt wurde. ist dir auch an irgendeinem punkt diese „ungesunde“ Competition begegnet?

Natürlich gab es bei den Freestyle-Sessions auch immer wieder Situationen, in denen spontan ein Battle entstand. Man muss folgendes bedenken: Die Zeit, in der wir aktiv waren, lag weit vor der Ära des Straßenrap. Es ging zur Sache, aber trotzdem war es noch ein beschützter „Jedi-Zirkel“, wenn man das so nennen kann. Eine relativ überschaubare Community, in der es natürlich auch Rivalitäten gab, man sich
aber dennoch mit einem gewissen Respekt begegnete. Es gab ab und zu Stress, es wurde zum Teil wild,
aber es gab dieses gemeinsame Hip Hop-Community-Ding, das tiefgehende Konflikte oder sogar Aggressionen verhinderte. Das kam erst später, als das Hip Hop-Ding in Deutschland so richtig boomte.
In den frühen 2000er Jahren wandelte sich dann alles. Die Events wurden so groß und unüberschaubar, zudem kamen Leute, die nicht über dieses jahrelange Community-Treffen sozialisiert wurden. Ich erinnere mich an Berliner Straßenrapper – das war noch kurz vor der Aggro Berlin-Ära – die in der Cypher dann Messerstecher-Metaphern brachten und die Stimmung so anheizten, dass es kurz vor dem Eskalieren war. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde das Freestyle-Thema für mich uninteressant. In den Folgejahren waren Veranstaltungen geradezu darauf angelegt, dass ein Battle in einer Konfrontation oder sogar Eskalation endete.

> Das hatte doch nichts mehr mit Freestyle zu tun. Die haben sich ihre Sachen für das Event vorher geschrieben. Oft passte dann auch wenig von den Texten zusammen, weil sie sich nicht spontan auf die jeweiligen Sachen des anderen bezogen

Nenn es „scripted Battles“, bei denen sich Rapper mit 50 anderen Leuten im Rücken positioniert haben und eine aggressive Grundstimmung geschaffen wurde. Damit habe ich auch den Spaß daran verloren, den man hatte, wenn man einfach in der Gartenlaube ein paar Zeilen kickt, kreativ ist und gemeinsam Spaß hat.

Ich denke, ohne Competition wäre Hip Hop nie dahin gelangt, wo er heute ist. Dieses „einfach mal machen und zur Not mit dem Kopf durch die Wand gehen“ ist zum Teil auch die DNA von Hip Hop. Das gehört schon dazu. Auch so Sachen wie: „Ich habe gerade keine Leinwand – also nehme ich mir den öffentlichen Raum als Leinwand.“ Das ist ja ein Kernelement von Hip Hop und das braucht es auch.

Wenn alles so streng reglementiert ist, nimmst du dem Ganzen die kreative Energie. Bei aller Euphorie, wenn man an 50 Jahre Hip Hop denkt…

> Ist es die Kultur oder die Industrie?

Genau – feiern wir die Kultur oder feiert sich letzten Endes nur die Industrie? Ich habe kürzlich einen ganz interessanten Artikel gelesen (Hier nachlesen), in dem genau dieser Aspekt bemängelt wurde. „Ich bin zu den Feierlichkeiten gegangen, weil ich 50 Jahre Kultur feiern wollte, und alles, was ich bekommen habe, war ein neues Sprite-Commercial“, so das Fazit. Das finde ich einen wichtigen Punkt. Das ist etwas, was ich manchmal durchaus vermisse. Natürlich ist es heute so, dass Hip Hop mehr denn je lebt. Auf der anderen Seite ist vieles jedoch verborgen unter formalisierten Strukturen.

"Zum Glück gibt es viele Leute, die Knowledge verbreitet haben für die, die es interessiert"

> Dieser Zwiespalt geht schon weit zurück. Damals wollte man, dass diese Kultur wächst, gedeiht und gross wird – und nicht nur ein kurzer Hype bleibt. Doch dann ist es so explodiert, dass die ursprüngliche DNA der Kultur verloren gegangen ist. Wir haben damals sowohl nach vorne als auch nach hinten geschaut – im Gesamtkontext. Heute scheint der Ursprung der Kultur kaum noch jemanden zu interessieren. Kaum einer der jüngeren Generation blickt auf die Anfänge zurück, und deshalb geht meiner Meinung nach auch etwas vom Grundgedanken verloren.

Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Ich habe damals sehr stark zurückgeblickt, und das alles hat mich wirklich interessiert. Gerade durch Leute in Deutschland, die sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben, wie Rick Ski oder Torch, denen es immer wichtig war, die Foundation zu betonen. Zum Glück gibt es viele Leute, die Knowledge verbreitet haben für die, die es interessiert. Ich war zum Beispiel nie Teil der Zulu Nation, habe mir aber trotzdem die Zulu Lessons reingezogen, weil ich es sowohl interessant als auch faszinierend fand. Inzwischen gibt es sogar neue Schwerpunkte wie die Hip Hop-Forschung – das "The Hip Hop Museum" wird ja aktuell in der Bronx errichtet – die alle wichtig sind, um die Ursprünge zu bewahren. Wir erleben es ja gerade, dass in den USA eine ganze Generation von Pionieren in die Jahre kommt, und viele der Protagonisten nach und nach verstorben sind. Gleichzeitig geht damit auch ein Stück ihres Wissens verloren, wenn es nicht archiviert und konserviert wird – wie auch immer.

Auf der anderen Seite ist durch die, ich nenne es mal, Professionalisierung Hip Hop und die damit verbundene Kultur auch ein Stück weit banal geworden. Es ist jetzt ein Musikgenre unter vielen, und gerade bei uns läuft vieles unter dem Label "Hip Hop", bei dem zwar Elemente davon vorhanden sind – der Beat steht oft mehr im Vordergrund, oder es gibt Rap-Passagen – aber es ist nichts, was man im klassischen Sinne als Hip Hop beschreiben würde. Es ist einfach zu glatt, es fehlt das Knowledge und es fehlt vor allem die Hingabe zur Kultur.

> Mittel zum Zweck als Vermarktungstool

Es gab ja damals auch schon das Zitat: “It’s very simple: Hip hop has become a public relations and marketing strategy that promotes and sells products to the youth.“ (Tony Van Der Meer in David Toop, Rap Attack, 1984). Wer möchte, kann das gerne nochmal nachschlagen. Selbst damals war dieses Thema also schon relevant. Mittlerweile ist Hip Hop, gerade für die jüngere Generation, nicht mehr dieses „Hip Hop or die“-Element, bei dem man sich zu 100% einer Kultur verschreibt und das in allen Facetten auch lebt. Generell scheint es mir, dass heutzutage Subkulturen keine große Rolle mehr spielen, da man heute einen Mix aus Möglichkeiten hat, die man parallel bedienen und modular zusammenstellen kann. Du pickst Dir immer das raus, was gerade im Moment am besten zu Dir passt. Ich bin ja ein Kind der 90er Jahre, besonders was die musikalische und kulturelle Prägung angeht, und gerade dieses Jahrzehnt war eine Hochzeit der Subkulturen – die Foundation dafür liegt aber in den 80er Jahren. Aber schau nur mal zurück: Es gab das Skater Movement, das Techno Movement, das Hip Hop Movement – was auch immer...

> …Indie, Drum & Bass…

…you name it! Was auch immer, aber jeder hat sich diesem Movement zu 100 % verschrieben, ganz oder gar nicht. Manchmal war diese Haltung vielleicht auch etwas zu extrem, aber es hat sicherlich geholfen, das Ding relevant zu machen und in die Herzen der Menschen einzupflanzen. Ganz im Gegenteil zu dem, was heute passiert. Jedenfalls sehe ich das so. Klar, Hip Hop ist cool, du hast dieses Thema Fashion, und dann hört es aber auch schon auf bei vielen Youngsters. Die tiefgehende Philosophie dieser Kultur ist auf der Strecke geblieben.

> Das ist meiner Meinung nach auch stark vom Zeitgeist geprägt. Hip Hop war immer die Kultur des Mitmachens, des Einbringens und des kreativen sowie künstlerischen Ausdrucks. Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass man sich früher ohne grosses Vorwissen einbringen konnte und oft einen harten Weg gehen musste, um sein Ziel zu erreichen. Heute hingegen wollen viele sich
nur noch berieseln lassen und einfach konsumieren. Es geht nicht mehr ums aktive Mitmachen oder darum, selbst kreativ zu sein

Einerseits ist es heute so, dass man eher der Konsument ist, und das hat sich bereits Ende der 90er Jahre angedeutet. Andererseits ist heute alles verfügbar – und zwar in Echtzeit. Dank Streaming-Diensten kannst du jederzeit in jedes Genre eintauchen und ebenso schnell die Quellen finden, die dir zeigen, wie man Beats baut. Damals jedoch musste man sich aktiv mit den Sachen auseinandersetzen, man brauchte diese Digger-Mentalität. Es war oft harte Arbeit. Ich bin damals zweimal die Woche in den Plattenladen gefahren. In Münster gab es 2-3 Läden, die ich nach der Schule besucht habe. Dafür habe ich eine 40-minütige Busfahrt in Kauf genommen, um mich Dienstags und Freitags über die Neuerscheinungen zu informieren. Natürlich wurde dort auch viel gefachsimpelt – wer auf welchem Tape vertreten war, wer den Feature-Part gerappt hat oder auf welcher B-Seite ein bestimmtes Instrumental zu finden war. Man musste enorm viel Zeit investieren, und deswegen konnte man, wenn man es ernsthaft betrieb, nicht zwischen den Genres hin und her springen. Ich sage das ohne Wertung. Es ist schade, dass die jetzige Generation dadurch vieles verpasst hat. Aber man muss auch sagen, dass trotzdem immer neue Leute nachkommen – auch mit dem nötigen Ernst an der Sache. Der Prozentsatz der Menschen, die hinter die Fassade schauen und wirklich tief eintauchen wollen, ist allerdings im Vergleich zu früher viel geringer geworden. Früher nannte man das den „harten Kern“ – den gibt es zum Glück immer noch.

Was ich an der aktuellen Entwicklung sehr positiv finde – und wir haben ja auch schon über das Aggro-Thema gesprochen, das meiner Meinung nach in Deutschland viel kulturellen Schaden angerichtet hat – ist, dass wir in Deutschland mittlerweile viele Hip Hop-Paralleluniversen haben, die friedlich nebeneinander existieren können. Das ist ein großer Vorteil der Neuzeit, dass alles sein Publikum findet und diese Gatekeeping-Mentalität der vergangenen Jahre sich weitgehend aufgelöst hat. Es gibt heute zum Beispiel Veranstaltungen wie die Tapefabrik, die für Lo-Fi Boombap steht, aber auch Events für Straßenrap und eigene Räume für jedes Subgenre. Leute können heute wieder anerkennen, was aus anderen Subgenres kommt. Ich hoffe, dass dieses Bewusstsein weiter wächst. Wir blicken in Deutschland inzwischen auf eine 40-jährige Hip Hop-Geschichte zurück, mit Personen, die zwar nicht ständig medienpräsent sind, aber das Ding im Kern am Leben halten. Dazu gehören unter anderem Booker, die seit Jahrzehnten Konzerte organisieren, Leute, die im kulturellen Umfeld aktiv sind und Workshops machen.

> In diesem Zusammenhang ist es wirklich grossartig zu sehen, dass die Leute, die diese Kultur seit den Anfangstagen aufgebaut, gefördert und zum Teil auch geschützt haben, heute wieder zurückkommen und aktiv an der Kultur teilnehmen. Das war zur Jahrtausendwende noch ganz anders, als sich viele aufgrund verschiedener Faktoren zurückgezogen haben. Es zeigt, wie sich
die Dynamik der Kultur verändert hat und wie wichtig es ist, dass diejenigen, die sie geprägt haben, wieder ihren Platz darin finden

Es geht darum, dass diejenigen, die dazu beigetragen haben, ihren „Shine“ bekommen – sowohl die, die überregional einen Impact hatten, als auch die, die lokal viel bewirkt haben, die KRS Ones ihrer Community. Das wäre wirklich wichtig, wenn dieser Spirit nicht verloren geht, weil genau das ein Schlüsselpunkt war, der diese Kultur so großgemacht hat. Es geht nicht nur um den Erfolg der großen Namen, sondern auch um die Anerkennung für diejenigen, die vielleicht weniger sichtbar sind, aber dennoch einen enormen Einfluss auf ihre Szene hatten.
 
Was die Entwicklung in den letzten Jahren betrifft, so ist „Cultural Marketing“ ein Thema, das immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Ich habe dazu auch einige Bücher gelesen und immer wieder festgestellt, dass Hip Hop zwar ein Vehikel für kreative Ausdrucksformen ist, aber oft schnell der Punkt erreicht wird, an dem man sich fragt, wie man das Ganze am besten vermarktet. Das finde ich schade, weil es dann oft so wirkt, als würden „kreative Dinge“ nur noch für den Kommerz geschaffen. Diese Wendung ist meiner Meinung nach ein Verlust für die ursprüngliche Idee.
 
Im Dezember war ich beim Lieblingsplatte Festival in Düsseldorf, mit Cora E als Headlinerin. Sie hatte die Stieber Twins mit dabei und hat ihr Album in voller Länge performed. Ich fand es super, dass jemand wie Cora, die damals schon unglaublich gut war, nach langer Abwesenheit wieder zurückkommt und ihre Platte spielt. Und das nach so vielen Jahren – über 20 Jahre! Es war beeindruckend zu sehen, wie viele Leute kamen und das immer noch richtig gefeiert haben. Das zeigt, dass bestimmte Dinge eben einen bleibenden Wert haben und weiterhin wertgeschätzt werden.

"Da war Deutschrap noch nicht einmal in der Grundschule angekommen, und die Jungs haben bereits über kulturelle Vernetzungen nachgedacht"

> Wenn ein Künstler nach einer langen Abwesenheit wieder zurückkommt und die Nachfrage immer noch vorhanden ist, zeigt das definitiv eine gewisse Relevanz. Stichwort Relevanz: Wer war für dich relevant, sowohl als künstlerische Inspiration als auch als wichtiger Wegbegleiter für deine Entwicklung? Sei es durch deren Werk oder einfach durch deren Mindset.

Für mich hatte definitiv die gesamte Heidelberger Szene einen riesigen Impact. Allen voran natürlich Advanced Chemistry, die damals das kulturelle Ding schon enorm groß gedacht haben. Wenn du dir alleine nur die Liner Notes auf der „Welcher Pfad führt zur Geschichte“-Maxi durchliest, Thema Strukturen aufbauen, den Funk-Spirit im Herzen tragen und die Wurzeln der Kultur zu respektieren – das war 1993! Da war Deutschrap noch nicht einmal in der Grundschule angekommen, und die Jungs haben bereits über kulturelle Vernetzungen nachgedacht. Das war natürlich ein ganz großer Impact. Meiner Meinung nach ist das in Deutschland auch nie ganz verstanden worden. Ich bin mir nicht sicher, ob es mittlerweile verstanden wurde.

> Verstanden haben es wahrscheinlich einige, aber es findet keine wirkliche Anerkennung statt für das, was sie damals geleistet haben. Ihre Beiträge und ihr Einfluss auf die Entwicklung der Kultur werden oft nicht genug gewürdigt, obwohl sie einen entscheidenden Teil dazu beigetragen haben, dass die Kultur heute existiert und sich weiterentwickelt.

Das ist ein Thema, das wir eben schon einmal angesprochen haben: Rapindustrie vs. Hip Hop Kultur. Advanced Chemistry haben ein Album und vier Maxis veröffentlicht, wobei auf dem Album die Songs der Maxis bereits enthalten waren. Als „Recording Artist“ ist das natürlich kein riesiger Output – allerdings wird das ganze Drumherum nicht mit in diese „Gesamtrechnung“ aufgenommen. Wie auch immer, die Jungs haben mich unheimlich geprägt und waren immer für die Leute, die sich wirklich für die Kultur interessiert haben, eine gute Anlaufstelle.

Natürlich sind wir damals auch nach Heidelberg zu den Jams gefahren. Ich erinnere mich gerne an die 10-jährige Jubiläumsfeier vom 360° Label im Jahr 2004 – das war der absolute Wahnsinn und in meinen Augen die letzte richtig große, überregionale Jam, auf der alle Elemente gleichberechtigt vertreten waren. Insofern hat Heidelberg und die Künstler dieser Region einen ganz speziellen Platz in meiner Laufbahn.
Wer hat mich noch geprägt? Natürlich Producer und MCs aus den USA: Diamond D, Lord Finesse, Large Professor, Q-Tip – Leute, die in mehreren Disziplinen ihre künstlerische Vision aufrecht erhalten. Die haben mich sowohl als Künstler als auch als Musikhörer und Fan tief beeinflusst. Im Kleinen gibt’s eine Menge Leute, da ich im Laufe der Jahre auch viele Menschen getroffen habe. Ich habe vorhin schon Onkel Dom erwähnt, der damals auch eine Art Mentor für mich war und mir eine Menge Dinge gezeigt hat. Ich kann mich daran erinnern, dass er 2000 seine eigene Platte gepresst hat und sich alles, was mit Produktion, Presswerk und GEMA zu tun hatte, selbst aneignen musste – aber er hat es knallhart durchgezogen und das Ding veröffentlicht.

Das war zu einer Zeit, in der das alles noch total aufwändig war. Man konnte nicht einfach im Internet Kalkulationen machen und die Abwicklung mit dem Presswerk digital abstimmen. Und dann sind wir zusammen durch die Gegend gefahren, um das Ding zu verkaufen. Wir standen bei der Popkomm auf dem Ringfest in Köln, hatten einen kleinen Lautsprecher am Gürtel und haben versucht, das Ding unters Volk zu bringen. Wir waren im Ruhrpott, in Bremen, Hamburg und sind überall mit dem Ding rumgefahren. Das waren sehr inspirierende Zeiten.

Natürlich gibt es auch in meiner Heimat Münster eine Menge Leute, mit denen ich zurzeit wieder viel mache. Damit meine ich unter anderem Atwashere von „Trust in Wax“, der als Ein-Mann-Armee Themen wie eigenes Label, Podcast, Produzieren, Workshops für den Nachwuchs, Events, Plattform für die heimische Producer-Community und kulturelle Förderung auf die Fahne geschrieben hat. Er zieht das durch, auch wenn man damit nicht den ganz großen Erfolg oder Durchbruch haben wird.
 
Das ist ja auch einer dieser Hip Hop Mythen, der aus den USA kommt: „From rags to riches“. Das ist so ein klassisches Ding – nenn es Wunschdenken – der jüngeren Generation. Aber ich finde es auch geil, wenn Leute, die lange dabei sind und einen viel realistischeren Blick für die Kultur haben, ihre Liebe für Hip Hop trotz vieler Zurückweisungen zum Ausdruck bringen und am Ball bleiben. Das beschreibt doch ganz gut diesen Hip Hop Spirit.
 
Denk mal an LSD, die mit „Watch Out For The Third Rail“ einen absoluten Meilenstein gedroppt haben –
der bis heute in Deutschland nie richtig verstanden wurde. Man muss dazu sagen, dass das Album zwischen allen Stühlen sitzt, weil es auf Englisch gerappt wurde und kurz darauf bereits die Umbruchphase mit deutschen Texten bevorstand, was für den generellen Impact leider nicht förderlich war. Aber musikalisch ist das Ding der absolute Wahnsinn. Ich habe mal in Gronau im Rock & Pop Museum eine Ausstellung zum Thema Hip Hop in Deutschland besucht – das war seltsamerweise der einzige Ort, an dem ich etwas über die Produktion hinter dem LSD Album gesehen habe. Wenn man sich das genutzte Equipment der Jungs anguckt, ist es absurd, was sie damit rausgeholt haben. Das ist in meinen Augen eine Pionierleistung, die viel präsenter sein müsste als nur einmal kurz in einer Ausstellung. Es müssten viel mehr Leute ihre Geschichte erzählen oder darüber berichtet werden, was sie gemacht haben.
 
Zurück zu den Leuten in meiner Heimat: Aus Münster sind sicherlich noch Luke & Swift bekannt, die gegen Ende der 90er ein paar Maxis veröffentlicht haben, aber leider nie ein Album gedroppt haben. In deren Umfeld gab es natürlich eine Menge inspirierender Leute, die aber alle heute leider nicht mehr aktiv sind. Dann gab es noch das „King Styles“-Magazin von Sula für Graffiti Heads. Der Herausgeber hat übrigens die „Stille Post“ Maxi von RAID auf seinem Label veröffentlicht (King Styles Records, Anm. d. Red.). Da gibt es viele kleine Stories, die völlig unter dem Radar fliegen – so wie in jeder Stadt wahrscheinlich, auch in Köln.

> Köln war eine Zeit lang fast schon eine Hochburg der Hip Hop-Kultur

Das kann man so sagen, denn Berlin hatte noch nicht den Status wie heute, und Mitte der 90er Jahre waren eine Menge wichtiger Labels in Köln ansässig. Zudem gab es die Popkomm, die ein zentraler Treffpunkt für die Musikindustrie war und oft auch als Plattform für die Hip Hop Szene diente. Köln hatte zu dieser Zeit eine sehr lebendige und diverse Szene, die nicht nur die lokale Kultur, sondern auch den Austausch zwischen Künstlern und der Musikindustrie förderte. Das machte die Stadt zu einem wichtigen Hotspot für Hip Hop in Deutschland. Es war auch die Zeit, in der sich viele Künstler und Gruppen in Köln versammelten, um ihre Musik und ihre Visionen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die Stadt war ein Schmelztiegel aus unterschiedlichen Einflüssen und wurde zu einer Art kulturellem Zentrum für Hip Hop, das weit über die regionalen Grenzen hinaus Wirkung hatte.

> Denk mal nur an Groove Attack oder MZEE…

Absolut - auch der Blitz Mob war ein ganz wichtiger Einfluss für viele in der Szene. Sie hatten diesen wirklich globalen Ansatz, der in der deutschen Hip Hop Kultur damals noch nicht so verbreitet war. Das Kollektiv bestand aus Künstlern aus verschiedenen Ländern, die sich auf Basis von gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Vision verbunden haben – und das war auch das Besondere daran. Sie haben nicht nur national gedacht, sondern international und sind über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zusammengekommen. Der Blitz Mob hat damit nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich neue Maßstäbe gesetzt. Sie standen für ein Hip Hop, das über den deutschen Tellerrand hinausblickte und die Idee von globaler Vernetzung und Zusammenarbeit verkörperte. In einer Zeit, als viele Szenen noch stark lokal geprägt waren, war das eine sehr progressive und mutige Haltung. Sie haben eine Atmosphäre der Offenheit und des Austauschs geschaffen, die sich in der Musik, aber auch in ihrer Art zu arbeiten, widerspiegelte.
 
Die Vielfalt und die gemeinsame Idee des Blitz Mobs haben sicher auch viele junge Künstler inspiriert und gezeigt, wie wertvoll es ist, die Grenzen der eigenen Kultur zu überschreiten und eine breitere Perspektive einzunehmen. Das war ein echtes Beispiel dafür, wie Hip Hop als universelle Sprache funktioniert – und das nicht nur musikalisch, sondern auch kulturell und gesellschaftlich.

> Für den, der dich nicht kennt – wie würdest du deine musikalischen Sachen beschreiben?
Wo kommst du her und was macht dich aus?

Meine größte musikalische Inspiration ziehe ich aus der Native Tongues-Bewegung. Dieser Einfluss hat mich am stärksten geprägt und ist auch der Grund, warum ich mich auf Social Media „A Guy Called Rask“ nenne – eine Hommage an A Tribe Called Quest. Vom Sound her ist das die Welt, die ich in diesem Musikkosmos am meisten gefeiert habe. Die Grundstimmung ist stets positiv, trotzdem gibt es harte Drums, verschachtelte Lyrics, die verschiedene Ebenen aufweisen und coole Reime – Kreativität steht hier immer im Vordergrund. Und vor allem tragen diese Werke definitiv die DNA der Kultur in sich. Für mich sind das die wichtigsten Aspekte: Positive, bewusste Rap-Musik mit großartigen Beats – Punkt.
"Ich schaffe mir immer wieder Freiräume, um dieses Hip Hop-Ding weiterzumachen und zu leben. Einen Masterplan habe ich nicht"

> Wo geht deine Reise gerade hin? Du sagst, dass du im Moment mehr Beats machst als Texte schreibst. Verlagert sich dein Schaffen also in Richtung Instrumentals oder Beatmaker-Alben, oder gibt es eigentlich keinen konkreten Plan?

Dass ich mit Hip Hop kein Geld verdiene, ist irgendwie sowohl Fluch als auch Segen. Es ist eine Leidenschaft, die ich neben meinem täglichen Leben – zwischen Familie, Arbeit und vielen anderen Verpflichtungen – auslebe. Ich schaffe mir immer wieder Freiräume, um dieses Hip Hop-Ding weiterzumachen und zu leben. Einen Masterplan habe ich nicht. Mein Traum ist es, musikalische Projekte zu realisieren, die idealerweise auf Vinyl veröffentlicht werden, da Schallplatten und vor allem das Sammeln von Platten ein zentraler und wichtiger Aspekt der Hip Hop Kultur sind. Natürlich möchte man auch gerne seine eigenen Sachen im Regal stehen haben. Wie bereits erwähnt, habe ich das Headcrash-Album, das ich 2004 als Tape unter dem Radar veröffentlicht habe, noch einmal überarbeitet und auf Vinyl herausgebracht – auch um das Projekt für mich selbst zu einem würdigen Abschluss zu bringen, indem ich es endlich als Platte und nicht nur als Tape veröffentlichen konnte. Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen. Jetzt hoffe ich, dass genügend Leute sie kaufen, sodass ich das kommende Projekt realisieren kann. Der Herstellungsprozess ist einfach teuer.
 
Du wolltest bestimmt auch wissen, woran ich momentan arbeite. Zurzeit arbeite ich mit Anbeater, einem befreundeten DJ und Produzenten, der unter anderem auch auf meinem Blätterwald-Album vertreten ist,
an einer Instrumentalplatte. Wahrscheinlich wird es ein Split-Release, bei dem einer die A-Seite und der andere die B-Seite bekommt. Ob es ein Tape oder ein Vinyl wird, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, aber es wird bald kommen. Außerdem werde ich bei LST – Da Phunky Child auf einem Release dabei sein. Mit Plattenpapzt kommt demnächst eine Single für sein Full House 2 Projekt. Zudem liegt noch eine EP mit DJ Step aus Heidelberg auf der Kante. Und natürlich habe ich noch eine Sammlung an Solo-Projekten, bei denen ich überlege, ob ich davon eine EP-Serie veröffentliche oder doch ein Album mache. Ein Album würde ich wirklich gerne machen, auf dem alles nur von mir kommt. Wann das allerdings kommt, ist ungewiss. Aber es wird direkt nach dem Torch- und dem STF-Album kommen.

> Also in diesem Sommer...

Vielleicht aber auch erst im nächsten (lacht). Es muss immer weitergehen, aber gerade dadurch, dass ich das alles als Hobby betreibe, muss ich gucken, wie das zeitlich in mein Leben passt. Ich will mich nicht auf Release-Zyklen festlegen, auch wenn es aus vermarktungstechnischen Gründen vielleicht schlau wäre. Aber im Moment bin ich eher wieder beim Ursprungsgedanken der Kultur, diesem DIY-Ansatz. Will ich Streamingdienste nutzen? Möchte ich mich von bestimmten Dingen abhängig machen? Will ich alle zwei Wochen einen neuen Song rausbringen, nur um als Künstler im undurchschaubaren Algorithmus sichtbar zu sein? Das ist mir alles eigentlich egal. Die Sachen kommen raus, wenn sie fertig sind. Wenn es nicht kommt, dann ist es halt so.

> Da haben wir neulich schon mal drüber gesprochen, dass man sich eigentlich viel mehr untereinander vernetzen muss und dass das aus der Szene heraus passieren sollte, anstatt dass es von aussen fremdgesteuert wird. Es sollte nicht von anderen entschieden werden, wie sichtbar man ist oder wie oft man – wenn überhaupt – auf bestimmten Plattformen mit seinen Sachen auftaucht.

Ja, man sollte es wieder selbst in die Hand nehmen. In der Prä-Internet-Ära gab es ja auch Fanzines, diese handkopierten Hefte, die jeder kennt. Warum nicht wieder so etwas machen?

> So etwas würde heute wieder richtig ins Auge fallen, gerade weil es eine um 180 Grad gedrehte Massnahme ist. Doch die Mehrheit bedient immer noch die alt eingesessenen Mechanismen, anstatt neue Wege zu gehen.

Es gibt zwar schon einige solcher Dinge, aber für meinen Geschmack dürfte es ruhig noch viel mehr davon geben. Ich mag dieses Analoge sehr. Neulich habe ich etwas über Tapes gelesen, und da war die Rede von „analoger Gegenkultur“. Das finde ich ein tolles Gegengewicht zu den industriellen Vorgaben, die uns vorschreiben, wie lang ein Song sein darf oder wann wir etwas veröffentlichen sollen, nur damit der Algorithmus bedient wird. Man muss viel unabhängiger von diesen Dingen werden, und zum Glück verstehen immer mehr Leute, dass das der richtige Weg ist, anstatt sich von den Streamingdiensten ausbeuten zu lassen.

> Pioneers of Hip Hop – du hast über deine Einflüsse und Prägungen erzählt. Gibt es auch etwas, in dem du eine gewisse Vorreiterrolle gespielt hast? Etwas, das du initiiert oder auf eine neue Ebene gebracht hast, das anderen als Inspiration dient?

Das ist eine gute Frage, auf die ich ehrlich gesagt noch nie so wirklich nachgedacht habe. Was mir jedoch immer unheimlich wichtig war, ist der Punkt, dass ich das Wissen, das ich erlangt habe, an andere weitergebe. Ich habe Workshops gegeben, besonders für die jüngeren Leute, denen ich nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch die Geschichte und die Werte der Hip Hop-Kultur nähergebracht habe. Ebenso finde ich es wichtig, Menschen zu vernetzen und zusammenzubringen. Ob ich deswegen ein Pionier bin? Keine Ahnung. Hoffentlich machen es viele andere auch, weil das im Kern der Hip Hop-Spirit ist.
Inzwischen ist es ehrlich gesagt auch schwer, ein Pionier in etwas zu sein, wenn man es nicht in Mikrofragmente aufbricht. Wir leben in einer Kultur, in der die Grundlagen längst geschaffen wurden und viele Pfade bereits bereitet und beschritten sind. Was ich versuche, ist, bei dem, was ich mache, die Leute, die ich schätze, zu unterstützen und das, was ich bekommen habe, zurückzugeben.
 
Ich freue mich aber auch immer, wenn andere Leute den „Arsch hochkriegen“. Wenn es etwas zu tun gibt, bin ich sofort dabei. Auf diese Weise gebe ich auch zurück. Es ist wichtig, diese Basis anzuerkennen und in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, aber genauso wichtig ist es, das Ding weiterzuleben und sich nicht nur an der Vergangenheit festzuklammern und darauf zu hoffen, dass man für das, was man irgendwann mal gemacht hat, Anerkennung erhält. Weitermachen und nicht im „Damals“ verharren.
 
Ein Beispiel dafür ist jemand wie Torch, der immer dran geblieben ist – vielleicht nicht mit Releases, aber hinter den Kulissen. Mixtapes, Events, Vorträge, Bücher. Oder jemand wie Rick Ski mit seinen Jams und zuletzt dem Pioneers of Hip Hop Award. Es gehört für mich genauso dazu, dass man nicht stehen bleibt. Insofern, nur Liebe für alle, die diese kleine Pflanze Hip Hop seit den Anfangstagen gepflegt haben, sodass sie nicht mit der ersten Breakdance-Welle gestorben ist, sondern eine kritische Masse erreicht hat und zu der relevanten Kultur wurde, über die wir heute sprechen. 

Aber das, was du hier mit den Interviews machst und der Plattform Pioneers of Hip Hop aufbaust, ist genau das, was ich vorhin meinte – dieser Weg, all diese Geschichten aus verschiedenen Epochen zusammenzuführen und sichtbar zu machen. Auch dafür gebührt dir ganz viel Liebe.

> Vielen Dank. Mir ist vor allem wichtig, diese vielen Geschichten zu archivieren

Archivieren und weiter lernen – besonders von den Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen, aber dennoch wichtige und relevante Geschichten zu erzählen haben.

> Genau das war mein Ansatz, als wir vor einem Jahr diese Seite gestartet haben. Ich wollte weder eine Plattform, die man nur einmal im Jahr für das Event wiederbelebt, noch wollte ich eine vorgegebene Struktur. Daher auch die Idee mit den Interviews – ich will jede Geschichte hören, weil sie alle relevant sind. Egal, ob du bereits 5 Alben veröffentlicht hast oder der Tüftler im Keller bist, der keinen Anspruch oder Bock hat, eine Platte zu veröffentlichen. Alle haben ihre Berechtigung und sind auf ihre Weise spannend – betrachtet im Hip Hop-Kontext.

Das passt perfekt zu dem, was ich meinte – die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und nicht darauf zu warten, dass jemand anderes es tut. Selbst aktiv werden.

> Letzte Frage – wen würdest Du für das nächste Pioneers Of Hop Hop Event ins Lineup nehmen?

Das ist tatsächlich schwierig, da ich mit dem ein oder anderen internationalen „Helden“, den ich unbedingt sehen wollte, leider schlechte Erfahrungen gemacht habe (lacht). Trotzdem würde ich gerne LL Cool J sehen, weil er in den 80ern das Game komplett auf den Kopf gestellt hat. Als absoluter Pionier darf Grandmaster Caz nicht fehlen. Ein King in mehreren Disziplinen und immer noch am Start, obwohl er nie den Shine bekommen hat, den er verdient hätte. Da hätte ich riesig Bock drauf. Natürlich wäre es auch großartig, die „Battle Squad“-Crew im B-Boy-Circle in Originalbesetzung zu erleben. Und nicht zu vergessen, Advanced Chemistry in ihrer Originalbesetzung sowie die Jungs von Invisibl Skratch Piklz an den Plattenspielern – das wäre schon eine legendäre Kombination. 

> Shout-Outs von rask

Big up an alle meine Crews – past, present, future: 

Geschlossene Abteilung
Rhyme Travellers 
Bermuda Reimeck
Kryptoknightz
Moinstars
We Keep Shit Dope Posse
360° Crew
 
Grüße, Props & High-Fives:
Sabrina, Erik, Luis, Tingwa, Dresn, Torch, Anbeater, Atwashere (Trust in Wax), Acid Kalle, Future Rock, Toni-L, 360 Grad Records, Soundtrax, Step Boogie B, Rick Ski, Crash, Plattenpapzt, Nomade, RCE, Rob Hak, Onkel Dom, Stylewarz, Phatfinger, 121 Crew, Doggy Brown, Downslow, Fgee, Flanders, Martin Bock, Miki Leaks King Katalogas, Boogie B NonComfort, Baronski, Beatnetz Münster, Bine, LST Da Phunky Child, Wask Audio, Scope, STF, S-ero, Sha One Nobody, Akanni, Alexander Gnida, Aphroe, Babak (Dedicated), Bambägga, Battle Squad, Bedroomproducers Paderborn, Cut Spencer, Olivier, Benny Breuning, Biaz, Blitz Mob, Boppo, Bose Box, Bronson XL, Bryan Vit, Can La Rock, Carb, Cora E, Stieber Twins, Crazy, David Koloßka, DCS, Def Benski, Der kleine Mann, Die P, DJ Cabite, DJ Doctor Chris, DJ Lifeforce, Corbi, DJPC76, Donna Wetter, D-Tex-Law, Emslicht Crew, Formphunk, Funk Metz, Funkabuff, Funkmaster Ozone, Galv, Gavin Sense, Hodi Flow, Igi Be, Katja, Nina, Krey, Lin, Naughty, Skilla, Maceo (Palace Lounge), Main Concept, Marcus Wüst, Marek Klippendichter, Mars, Maximilian Gudszinsky, MC Rene, Menasse, Mirko Polo, Monroe, Salomon, Nik Birkemeyer, Nimble, NOH School Crew, O-Flow, Pahel, Patrick Liberál, Patty Jott, Phax, Rec&Play Bielefeld, Bjet, Skinny Shef, Ralf Nehe, Referee, René Winter, Retrogott, Robert Winter, S-Mack, Schneider (Early Bird Records), Smokey 131, Spax, Stadtpark Zoo, Streetlove Magazine, Timski, Tomi Kaußen (BCWLT), Topze, WhzkyFrngs, Wox, Yeboah, Zombi Squad, Zwirn, alle Freunde, Wegbegleiter, Supporter in Köln, Münster, Bonn, Bochum, Essen, Berlin, Heidelberg, Zürich, Hamburg, Meppen, Lingen, Hannover, Wiesbaden & worldwide.
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> interview/fotos: jimi

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